Unternehmen brauchen Rebellen mit Talent

Unangepasste Mitarbeiter, die ausserdem noch neugierig sind, können Unternehmen den entscheidenden Kick geben, findet die Verhaltensökonomin und Harvard-Professorin Francesca Gino.

Unternehmen brauchen Rebellen mit Talent
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Die italienische Küche ist nicht gerade für ihre Innovationsfreude bekannt. Vielmehr wird die strikte Einhaltung von Traditionen – sowohl was die verwendeten Zutaten, als auch was die Art der Zubereitung betrifft – hoch gehalten. Dass auch ein anderer, für italienische kulinarische Verhältnisse geradezu revolutionärer, Zugang zum Erfolg führen kann, hat Massimo Bottura eindrucksvoll bewiesen. Seine „Osteria Francescana“ in seiner Heimatstadt Modena wurde heuer – wie bereits 2016 – zum besten Restaurant der Welt gekürt – gerade weil es dem Dreisternekoch gelungen ist, die italienische Küche völlig neu zu interpretieren.

Die italienisch-amerikanische Verhaltensökonomin und Harvard-Professorin Francesca Gino hat eine Erklärung für Botturas Erfolg: Er zählt zu den so genannten „talentierten Rebellen“, die sich über bestehende Regeln und gängige Konventionen hinwegsetzen und dadurch trotzdem zum Wohle einer Organisation beitragen. Indem etwa Bottura das traditionelle Gericht „Bollito Misto“ („Gemischtes Gekochtes“) für das – je nach Region – verschiedene Fleischsorten und Rohwürste gemeinsam gekocht werden, „sous vide“ zubereitet hat, hat er das „Bollito non Bollito“ („Gekochtes Ungekocht“), ein völlig neues geschmackliches und optisches Erlebnis, geschaffen.

„Von Rebellen können wir lernen, was wir tun könnten und nicht was wir tun sollten.“

Die preisgekrönte Wissenschaftlerin Gino forscht nunmehr seit vielen Jahren zu Themen wie Urteilsvermögen, Entscheidungsfindung, Verhandlung, Ethik, Motivation, Produktivität und Kreativität. Dabei hat sie sich unter anderem intensiv mit Menschen beschäftigt, die sich in ihren Unternehmen unehrlich verhalten, ebenso wie mit der Frage, wie Arbeitgeber das problematische Brechen von Regeln von Regeln unterbinden können. Dabei ist sie auf den besonderen Typus der „talentierten Rebellen“ gestossen. Der Unangepassten und Nonkonformisten, die als „Troublemaker“ gelten aber trotzdem einen wesentlichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten.

Francesca Gino

Für Gino steht fest: Von Rebellen, die Regeln zum Wohle aller brechen, kann man viel lernen. Die wesentliche Erkenntnis ihrer einschlägigen Forschungstätigkeit, über die sie auch in ihrem Buch „Rebel Talent: Why It Pays to Break the Rules at Work and in Life“ berichtet, ist, dass sich „talentierte Rebellen“ in herausfordernden Situationen nicht fragen, was sie tun sollten, sondern was sie tun könnten. Wieso das so wichtig ist, hat ein Experiment aufgezeigt, für das die Teilnehmer mit schwierigen ethischen Problemstellungen, zu denen es keine scheinbar klaren Lösungen gibt, konfrontiert wurden. Sie wurden dann gefragt, was sie tun sollten oder was sie tun könnten. Dabei habe sich gezeigt, dass die „könnten-Gruppe“ kreativere Lösungen entwickelt hat.

„Rebellen wissen wie wichtig es ist sich Zeit zum Nachdenken zu geben.“

Tritt man Herausforderungen mit einer „sollten“-Einstellung entgegen, so ist das Denken eingeschränkt, so Gino. Man wird sich dann eher für eine Antwort entscheiden, die am logischsten erscheint. Überlegt man sich hingegen was man tun könnte, ist man offener und die jeweiligen Zielkonflikte inspirieren einem zu kreativen Lösungen. Dabei wird der „könnten“-Typus eigentlich als jemand angesehen, der die anderen aufhält. Fragen wie „was wäre wenn“ und „wie wäre es“ führen nur zu weiteren Handlungsoptionen. Nachsatz der Verhaltensökonomin: „Rebellen wissen aber, dass es besser ist den Druck zu widerstehen und sich Zeit zum Nachdenken zu geben.“

Ein weiteres Beispiel für einen positiven Nonkonformisten ist für Gino der US-Pilot Chesley B. Sullenberger. Dieser sass am Steuerknüppel jener Airbus A-320 bei der 2009, kurz nach dem Takeoff vom New Yorker La Guardia Flughafen, beide Triebwerke ausfielen. Sullenberger hatte 155 Menschen an Board und nur wenig Zeit um – in einer Stadt voller hoher Gebäude – einen geeigneten Landeplatz zu finden. Die meisten Piloten hätten sich für die nahe liegende Lösung, zu versuchen auf einem Flughafen zu landen, entschieden, was in diesem Fall höchstwahrscheinlich in einer Katastrophe gemündet hätte. Sullenberger hat sich zwar überlegt was er tun sollte, aber auch erwägt, was er tun könnte. Er entschied sich am Hudson River aufzusetzen und alle Passagiere wurden gerettet.

„Was talentierte Rebellen antreibt: Neugier.“

Für Gino haben Rebellen eines gemein: Sie werden von Neugier angetrieben. Diese sei für die Performance eines Unternehmens wichtiger als bisher angenommen. Der Hintergrund: Wird Neugier auf allen Unternehmensebenen kultiviert, so können sich Führungskräfte und Mitarbeiter besser an unsichere Marktbedingungen und externen Druck anpassen. „Wird unsere Neugier geweckt, so denken wir eingehender und rationeller über Entscheidungen nach und finden auch eher kreativere Lösungen“, so Gino.

Neugierige Führungskräfte und Mitarbeiter laufen aber auch weniger Gefahr Bestätigungsfehler (englisch: „Confirmation Bias“) – der Begriff aus der Verhaltensökonomie umschreibt die Neigung, Informationen so auszuwählen, zu suchen und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen – zu begehen oder in Stereotypen – wie zum Beispiel „Frauen und Angehörige von Minderheitengruppen sind keine guten Führungskräfte“ – zu denken.

„Neugier fördert die Teamperformance“

Ginos Erfahrungen zufolge, kann Neugier helfen, das Konfliktpotenzial innerhalb von Gruppen zu reduzieren. Sie ermutigt Gruppenmitglieder dazu sich in die Lage ihrer Kollegen zu versetzen und sich für deren Ideen zu interessieren anstatt sich auf ihre eigenen Perspektiven zu konzentrieren. Dadurch funktioniert die Zusammenarbeit besser. Gleichzeitig fördert Neugier auch eine offene Kommunikationskultur. „Neugierige Mitarbeiter neigen eher dazu, Informationen zu teilen und genauer zuzuhören“, so die Harvard-Professorin. Das Ergebnis: Eine bessere Teamperformance.

Neugier zu fördern, ist also ganz eindeutig mit Vorteilen für Unternehmen verbunden. Gefragt ist in diesem Zusammenhang das Management. Es muss das Design ihrer Organisation sowie die Art und Weise wie die Mitarbeiter geführt werden darauf ausrichten. Laut Gino trifft das auf alle Branchen und Tätigkeiten – egal ob kreative oder routinemässige – zu. Daher empfiehlt sie bereits bei der Einstellung neuer Mitarbeiter auf Neugier zu achten. Sie verweist auf Google, das Bewerbern bei Jobinterviews Fragen wie „Haben sie je gemerkt, dass sie nicht aufhören können etwas zu lernen mit dem sie noch nie zuvor zu tun hatten? Wieso sind sie hartnäckig geblieben?“ stellt. Gibt ein Bewerber an, die Antwort einfach raus finden zu müssen, deutet das auf echte Neugier.

„Unternehmen sollten bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter auf Neugier achten.“

Die internationale Design- und Innovationsberatung IDEO setzt bei der Suche nach neuen Mitarbeitern auf Leute, die über das entsprechende Knowhow, das ihnen erlaubt sich in den kreativen Prozess einzubringen, verfügen und die gleichzeitig zur Zusammenarbeit über Disziplinen hinweg neigen. „Die meisten Menschen performen dann am besten, wenn sie über jene intellektuelle Neugier verfügen, die sie dazu veranlasst zu fragen, zu forschen und zu kooperieren“, erklärt Gino. Um potenzielle Mitarbeiter zu identifizieren, achtet man bei IDEO darauf, wie Bewerber über frühere Projekte reden. Falls sie überwiegend über ihren eigenen Beitrag reden, kann das andeuten, dass sie nicht offen für Kollaboration sind.

Führungskräfte sollten aber auch selbst neugierig sein – nicht nur um als gutes Beispiel voran zu gehen, sondern auch um sich den Respekt und das Vertrauen der Mitarbeiter zu erarbeiten. Der frühere BBC-Direktor Greg Dyke hat etwa noch bevor er den Chefsessel übernahm alle wichtigen Standorte der britischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt besucht. Dabei hat er die Mitarbeiter gefragt, was er tun könne, um ihre Situation sowie jene der Zuseher und Zuhörer zu verbessern. Von den gewonnen Erfahrungen hat er in seiner Antrittsrede berichtet. „Dyke hat vorgezeigt, dass es genauso wichtig ist zuzuhören wie zu reden wenn man Neuland betritt“, erklärt Gino.

„Mitarbeiter, die gute Fragen stellen sind innovativer als andere“

Laut der Verhaltensökonomin können auch Lernziele helfen, die Neugier der Mitarbeiter zu wecken. „Wenn uns Lernziele motivieren, eignen wir uns mehr Skills an, arbeiten besser und können auch Problemstellungen eher lösen.“ Ein anderer Zugang sei es, der Belegschaft die Zeit und die Ressourcen einzuräumen, die notwendig sind, um ihre Fähigkeiten und Interessen zu entdecken. Beim italienischen Büromaschinen-Spezialisten Olivetti wurde etwa in den 30er Jahren ein Mitarbeiter dabei ertappt, wie er das Werk mit Arbeitsmaterialien verliess. Dem damaligen CEO, Adriano Olivetti erklärte er, dass er am Wochenende an einer neuen Maschine wolle da er dazu während seiner täglichen Arbeit keine Zeit habe. Anstatt ihn zu feuern, liess ihn Olivetti gewähren. Das Ergebnis war der Divisumma, der erste elektronische Rechner, der in den 50ern und 60ern zu einem weltweiten Erfolg wurde. „Um Neugier zu fördern, sollten Führungskräfte ihren Mitarbeitern aber auch lernen gute Fragen zu stellen“, empfiehlt Gino. Dieser Mindset könne sie zu Innovationen anspornen.

„Viele Führungskräfte befürchten, dass neugierige Mitarbeiter schwieriger zu managen sind.“

Trotz der offensichtlichen Vorteile, die damit verbunden sind Neugier zuzulassen, kann es dennoch vorkommen, dass Führungskräfte davon Abstand nehmen. Dahinter stehe die Angst davor, dass wissbegierige Mitarbeiter, denen man einräumt ihre eigenen Interessen zu erforschen, schwieriger zu managen sind, meint Gino. „Viele Top-Manager befürchten auch, dass Neugier Meinungsverschiedenheiten zur Folge hat, was die Entscheidungsfindung erschwert und in weiterer Folge die Geschäftskosten erhöht“, so die Expertin.

Neugier bzw. Experimentierfreude kann aber auch aufgrund eines zu starken Fokus auf Effizienz unterdrückt werden. Das zeigt für Gino das Beispiel Henry Ford. Im frühen 20. Jahrhundert hatte der Automobilpionier nur ein Ziel im Visier: die Produktionskosten so stark zu senken, um ein Auto für die breite Masse entwickeln zu können. Nachdem ihm das mit der Einführung des „Modell T“ 1908 gelang und sein Unternehmen uneingeschränkter Marktführer wurde, hat er allerdings in den späten 20er Jahren eine Entwicklung verschlafen: die Konsumenten wollten mehr Auswahl. Die Folge: Während Ford sich weiterhin auf die Verbesserung des „Modell T“ konzentrierte, wurde er von Konkurrenten wie General Motors überholt.

Weitere Einblicke in ihre Forschungstätigkeit, wird die Verhaltensökonomin bei der „Academy of Behavioral Economics 2019“ geben.

 

Academy of Behavioral Economics 2019
Bessere Entscheidungen im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz

Datum: 30. Januar 2019

Ort: GDI Gottlieb Duttweiler Institute
Langhaldenstrasse 21, 8803 Rüschlikon

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