Kluge Gefühle: Wie uns Emotionen dabei helfen Entscheidungen zu treffen

Emotionen haben in einem rationalen Menschen- und Wirtschaftsbild auf den ersten Blick wenig zu suchen. Der Verhaltensökonom Eyal Winter zeigt: Gerade sie bilden eine wichtige Grundlage für unsere Entscheidungen. Am 29. Januar 2020 ist Winter Referent an der Academy of Behavioral Economics.

Eyal Winter
Eyal Winter, am 29. Januar 2020 Referent an der Academy of Behavioral Economics.

Entscheidungen zu treffen ist oft schwierig – insbesondere, wenn sie auch noch gut sein sollen. Eyal Winter, geboren 1959, ist Experte für dieses Problem. Er ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem, einer der weltweit führenden Institutionen, an denen über Entscheidungsfindung geforscht wird.

Winter interessiert sich besonders für die menschlichen Gefühle und wie sie unsere Entscheidungen beeinflussen. Dabei lässt er die psychologische Deutung meist aussen vor, sondern rückt die (verhaltens-) ökonomische Analyse in den Fokus. Er nutzt vor allem die Spieltheorie, mit der sich alltägliches menschliches Verhalten wissenschaftlich und modellhaft erklären lässt.

Für bekennende Romantiker mögen diese Modelle vielleicht ein Affront sein, denn sie führen zum Fazit, dass grosse Gefühle wie Angst, Wut oder Liebe viel rationaler sind als wir denken. Für das tiefere Verständnis der Grundlagen menschlicher Entscheidungen hingegen sind Winters Arbeiten eine Quelle der Inspiration. Die Essenz davon hat er in seinem Buch “Kluge Gefühl” (auf Deutsch erschienen bei Dumont, Originaltitel: “Feeling Smart: Why Our Emotions Are More Rational Than We Think“) aufbereitet.

“Emotionen bilden einen Mechanismus, der uns dabei hilft, Entscheidungen zu treffen. Sie wurden im Lauf der Evolution geformt und entwickelt, um unsere Überlebenschancen zu verbessern.”

Eyal Winter zeigt in seinem Buch, dass der Gegensatz zwischen Vernunft und Gefühl nur ein vermeintlicher ist. Evolutionär betrachtet spielen nicht nur rationale Überlegungen (im Sinne von: alles, was die Chance des Überlebens steigert) eine gewichtige Rolle bei menschlichen Entscheidungen, sondern auch unwillkürliche Gefühle wie Angst oder Wut: Angst etwa schützt den Menschen vor gefährlichem Risikoverhalten. Und Wut wiederum kann anderen Menschen nachdrücklich vermitteln, dass man auch vor eigenen Opfern nicht zurückschreckt. Und auch das steigert die Chance des Überlebens – oder zumindest die Chance, in einem Konflikt den Sieg davon zu tragen.

Emotionen befeuern die Kooperation

Kooperation wird in der Spieltheorie oft mit dem so genannten Gefangenendilemma erklärt, bei die die rational optimale Strategie wäre zu kooperieren. Winter zeigt überdies, „dass in vielen Spielen wie dem des Gefangenendilemmas Kooperation hauptsächlich in einem emotionalen Bedürfnis nach Ausgleich begründet ist, etwa einem Schamgefühl für Gier, wenn andere großzügig sind, oder aber Empörung und Wut, wenn die anderen habgierig sind.“

Beim Vertrauensspiel wiederum – ebenfalls einem mathematischen Spiel der Spieltheorie – erhält ein Proband 100 Dollar und kann seinem Mitspieler einen beliebigen Teil davon abtreten. Diesen Teil verdreifacht ihm der Spielleiter. Im Idealfall geben gibt der Proband 100 Dollar, daraus werden 300 – und wenn er im Idealfall die Hälfte zurückerhält, haben beide einen schönen Gewinn.

Nur kann man sich darauf verlassen? Eben nicht, wie Eyal Winter zeigt – und das hat wiederum stark mit Vertrauen zu tun. In einem Vertrauensspiel mussten sich Studenten für Mitspieler aus beliebigen europäischen Ländern entscheiden. Aufgrund des Backgrounds der Probanden – allesamt junge Intellektuelle, die bereits intensiv mit internationalen und multikulturellen Interaktionen vertraut waren – erwartete der Forscher, dass sich die nationale Herkunft nicht auf die Vertrauensniveaus in dem Spiel auswirkt. Diese Annahme erwies sich als falsch. Südeuropäer wurden im Vergleich zu Nordeuropäern in signifikantem Maß diskriminiert: Nordeuropäer misstrauten systematisch den Südeuropäern. Diese wurden relativ selten ausgewählt, und wenn, dann erhielten sie weniger Geld als Mitspieler aus dem Norden.

Sich selbst erfüllendes Misstrauen

Winter: „Wir hatten erwartet, dass sich Anzeichen von Diskriminierung im Fortgang des Spiels verringern würden, doch zu unserer Überraschung war das Gegenteil der Fall. […] Misstrauen fördert natürlich eine misstrauische Reaktion. Die Nordeuropäer sahen darin eine Rechtfertigung ihrer Benachteiligung der Südeuropäer, was in der nächsten Runde zu noch stärkerer Diskriminierung führte, wodurch sich noch tieferes Misstrauen festsetzte und eine Spirale von immer weiterer Benachteiligung und Argwohn einsetzte.“

Mit diesen und vielen anderen anschaulichen Beispielen erklärt Winter in „Kluge Gefühle“, wie Emotionen dem Menschen dabei helfen Entscheidungen zu treffen – und wie schwierig es ist, eine Grenze zwischen dem Emotionalen und dem Kognitiven zu ziehen.

Am 29. Januar 2020 ist Eyal Winder Referent an der Academy of Behavioral Economics, welche am Gottlieb Duttweiler Institute stattfinden wird. Bis zum 17. November können Sie sich noch zum Frühbucherpreis anmelden.

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