“Vertrauenssache Mensch”: Interview mit Andreas Staub von FehrAdvice im Punkt Magazin

Andreas Staub, CCO und Managing Partner bei der FehrAdvice & Partners AG, sprach mit dem “Punkt Magazin” über die Verhaltensökonomie, die Digitalisierung und das Banking der Zukunft. Hier das Interview zum Nachlesen.

"Vertrauenssache Mensch": Interview mit Andreas Staub von FehrAdvice im Punkt Magazin

Punkt Magazin: Die Verhaltensökonomie ist en vogue. Dient das vor allem der Imageaufbesserung der gewöhnlichen Wirtschaftswissenschaften?

Andreas Staub: Die Verhaltensökonomie ist ein Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften und erweitert das klassische Bild des homo oeconomicus interdisziplinär um Erkenntnisse aus der Psychologie und Soziologie. Es sind nicht nur ökonomische Anreize, die menschliches Verhalten «steuern»!

Worin besteht ihr Nutzen?

Wir helfen Individuen und Institutionen evidenzbasiert bessere Entscheide mit ökonomischen Konsequenzen zu treffen.

Der Ansatz der Verhaltensökonomie ist es also, Entscheidungen beeinflussen zu wollen. Ist sie in ihrem Kern somit paternalistisch?

Mir scheint Paternalismus zu negativ konnotiert. Sanfter Paternalismus zwingt niemanden, etwas zu tun. Eigenverantwortung wird nicht abgenommen, sondern unterstützt. Man kann sich auch bewusst gegen die gewünschte Verhaltensänderung entscheiden. Für die Einhaltung sozialer Normen ist sanfter Paternalismus sogar bestimmt die liberalere Lösung als Verbote. Wir können den Spiess auch umdrehen und fragen, ob man nicht nicht beeinflussen kann. Nichtintervention ist auch eine Entscheidung – die Entscheidung, nichts zu tun. Und das hat auch Konsequenzen auf das Verhalten.

Der Mensch funktioniert aber nicht nach Gesetzmässigkeiten wie ein Atom. Er handelt viel zu irrational, affektiv und somit unberechenbar.

Ja, der Mensch handelt gerne im Autopilot intuitiv, impulsiv und geleitet durch Emotionen. In diesem Zusammenhang hat jeder Mensch gewisse Biases. Das führt zu beschränkt rationalem Verhalten. Essenziell ist aber, dass diese Verhaltensweisen systematisch und demnach eben nicht unberechenbar, sondern messbar sind. Diese Systematiken gilt es zu erkennen und verstehen.

Lässt sich Ihre Aussage konkretisieren?

Wir kennen die relevanten Verhaltenstreiber. Über die allgemeinen Präferenzen hinaus sind es Werte, soziale Normen, Identitäten oder Gewohnheiten, die unseren Alltag begleiten. Wir mögen automatische Abläufe, bei denen wir nicht viel überlegen müssen. Denkvorgänge ausserhalb des Autopiloten sind Anstrengung für das Gehirn.

Ist das auch eine Erklärung dafür, weshalb viele Menschen Wandel abzulehnen scheinen?

In der Tat begrüssen wir Menschen die Veränderung per se nicht wirklich. Insbesondere wenn sie uns dazu nötigt, Gelerntes über Bord zu werfen und neu zu beginnen. Das bedeutet wieder Anstrengung. Genau diese fehlende Bereitschaft kann Wandel behindern, selbst wenn das Bewusstsein vorhanden ist, dass eine Verhaltensänderung erwünscht oder sinnvoll wäre.

Am besten verdeutlicht diese Abneigung die voranschreitende Digitalisierung.

Sie sprechen ein spannendes Thema an. Ich denke aber nicht, dass es gegenüber der Digitalisierung eine grundsätzliche Abneigung gibt.

Mag unser Hirn mit der gesteigerten Komplexität durch Digitalisierung überhaupt Schritt halten?

Sehr guter Punkt! Die Umwelt wird, ironischerweise getrieben durch den Menschen selber, immer komplexer und schneller. Eigentlich kommen wir da längst nicht mehr mit. Unsere kognitiven Fähigkeiten sind limitiert und im Gegensatz zur Software, mit der wir arbeiten, haben wir in den letzten 50 000 Jahren kein Update mehr bekommen.

Aber?

Aufmerksamkeit ist eine beschränkte Ressource – kein Wunder, wenn man sich überfordert fühlt. In der Tendenz bedeutet das noch weniger Zeit für bewusste Entscheidungen und Informationen. Die Digitalisierung hat also potenziell den Effekt, dass nicht logisches, nicht rationales Verhalten noch stärker forciert wird. Klar ist, dass die Kluft zwischen unseren kognitiven Kapazitäten und der Umwelt immer grösser wird. Die logische Antwort auf die Frage ist also: Nein. Umso essenzieller sind Businessmodelle und Lösungen, die vereinfachen oder uns die Komplexität nicht wahrnehmen lassen. Design, Simplicity, Gamification oder Werte und Identität werden noch wichtiger.

Was bedeutet es für Anleger, wenn sie Informationen stets via Smartphone abrufen können?

Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass bereits die Grösse der Devices einen Einfluss auf unser Entscheidungsverhalten haben kann. Impulsiveres Verhalten an kleinen Bildschirmen wie am Smartphone können Nebenwirkungen erzeugen. Wenn ich deswegen meine Pizza mit mehr Extras wie Schinken oder Käse bestelle, ist das harmlos. Für Anleger kann impulsiveres Verhalten aber unerwünscht negative Effekte zur Folge haben.

Wie zeigen sich solche Effekte?

Wenn ich über das Smartphone nun dauernd mit Börseninformationen und Kursänderungen berieselt werde, kann mich das anstacheln, mehr Trades zu tätigen. Aus langfristiger Sicht ist das schlecht für das Portfolio. Im Durchschnitt nimmt die Performance ab, je mehr man über das Smartphone Anlageinformationen einholt und -entscheidungen trifft. Das hat man sogar empirisch gemessen.

In der Finanzwelt wollen Robo Advisor das Sparen und Investieren für den Anleger einfacher machen. Ist ihnen also der Erfolg sicher?

Bei den «reinen» Robo Advisor frage ich mich immer: Warum werben sie mit immer günstigeren Preisen? Wenn sich doch so eine coolere und bessere Alternative zu den traditionellen Vermögensverwaltern sind, dann sollten sich doch die Preise sogar erhöhen können?

Was ist Ihre Antwort?

Offenbar ist die Zahlungsbereitschaft nicht vorhanden. Diese Robo Advisor ignorieren schlichtweg das wohl wichtigste Element, wenn es um Banking geht: Vertrauen. Banking ist ein Vertrauensgut. Bei einem solchen sind Beziehungen ausschlaggebend, da Menschen sehr starke soziale Präferenzen haben. Seit einem Jahr ist ein interessanter, klarer Trend erkennbar. Die Robo Advisor gehen in ein Hybrid-Modell über und es gibt im Business-Modell Menschen, die für die Kunden da sind. Irgendwie war das aus Sicht der Verhaltensökonomie vorhersehbar

Robo Advisor sind also bloss etwas für weniger soziale Menschen?

Man könnte auch sagen: für eher rationale Menschen. Das ist aus meiner Sicht eine spannende Hypothese, die meines Wissens noch nicht empirisch geprüft wurde. Rein digitale Angebote im Banking sprechen eher Menschen mit weniger ausgeprägten sozialen Präferenzen an. Für sie ist das Vertrauenselement zum Berater weniger wichtig. Der transaktionale Nutzen dominiert und man schaut viel eher auf den Preis und da sind die Robo Advisor eben günstiger und somit für diesen Menschen eine echte Alternative.

Die digitalen Vermögenshelfer haben also beim Menschen eigentlich keine Chance?

Doch. Ich würde einfach behaupten, dass es für rein digitale Versionen einen beschränkten Markanteil gibt. Wie es der Begriff «digitaler Vermögenshelfer» allerdings schon ausdrückt. Es geht um digitale Unterstützung des Kundenberaters. Diesen hybriden Modellen gehört die Zukunft, denn das Vertrauenselement gehört zum Wesen des Menschen und zum Banking. Mutig in die Zukunft schauend ist spannend, ob man über das Thema «künstliche Intelligenz» – oder besser «künstliche Organismen» – auch eine vergleichbare Vertrauensbasis bieten kann.

Oder die Digitalisierung treibt uns Menschen die Sehnsucht nach menschlichen Vertrauensbeziehungen aus?

Die Evidenz spricht dagegen. Internet und Digitalisierung machen soziale Präferenzen nicht kaputt. Wenn dann ist eher das Gegenteil beobachtbar: Menschen haben heute noch mehr die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun und auszutauschen. Wir kennen den «Ingroup Bias»: Das Internet sorgt nicht dafür, dass ich mich aktiv mit anderen Meinungen auseinandersetze und mich hinterfrage. Stattdessen kann man in digitalen Communities seine Meinung bestätigen und «liken» lassen. Man darf also kritisch fragen, ob das Internet wirklich Wissen demokratisiert oder nicht vor allem eher polarisiert.

Banking ist letztlich ja auch ein Vertrauensgut, weil die Finanzwelt nun mal kompliziert und für den Einzelanleger kaum überschaubar ist.

Jein. Die Finanzwelt hat sich diese Unüberschaubarkeit selber eingebrockt. Unter anderem mit der Erschaffung von Finanzvehikeln, die nicht einmal die Banker selber richtig verstehen. Wie wir schon konstatiert haben: Businessmodelle, die als einfach wahrgenommen werden, gewinnen. Die Rolle der Menschen wird noch viel wichtiger werden.

Inwiefern?

Der Berater der Zukunft wird auch neuen Anforderungen genügen müssen. Er wird hinsichtlich Medien, digitaler und finanzieller Bildung viel mehr gefordert sein. Heute dominieren «Zertifizierung» und «Compliance» die Ausbildung. Man macht also eigentlich alle Mitarbeitenden «gleich». Nullfehlertoleranz wird gefordert, was eigentlich ein Witz ist, wenn man mit Menschen zusammenarbeitet. Banking ist an einem wichtigen Punkt angelangt. Die Digitalisierung findet seit Jahrzehnten statt. Es ist höchste Zeit, über Verhaltensänderungen und eine «neue» Kultur zu sprechen. Nehmen wir ein sehr einfaches Beispiel: Warum bilden Banker ihre Kunden eigentlich nicht konsequent aus?

Ja, warum eigentlich nicht? Ansätze dazu gibt es ja. So könnten Banken «Apple Stores» für Finanzen anbieten?

Aus meiner Erfahrung herrscht bei den Bankern der Glaube vor, dass, wenn man Kunden ausbildet, diese dann keine Beratung mehr wollen, weil sie alles selber wissen. Die empirische Evidenz – basierend auf eigenen Untersuchungen in der Schweiz – zeigt allerdings das Gegenteil. Ausgebildete Kunden werden ihren Kundenberater mehr konsultieren – nicht umgekehrt. Zudem bin ich überzeugt, dass gemeinsame Lernerfolge die Vertrauensbasis stärkt und zur Bindung beiträgt.

Immer mal wieder hört man, die digitalen Bankprojekte kämen nur schleppend voran. Werden Kunden zu wenig in der Anwendung dieser Applikationen ausgebildet?

Banken haben in der Tat ein Problem auf der Digitalisierungsebene. Für Kundenberater stellt sich grundsätzlich die Frage, warum sie die Digitalisierung unterstützen sollen. Denn seit wir Onlineangebote auf- und ausgebaut haben, wurde ihnen quasi verklickert, dass die Digitalisierung ihren Job bedrohe. Man hat die digitalen Angebote meist so eingeführt, dass sie mental für den Kundenbetreuer eine Konkurrenz darstellen. Wenn also nicht einmal der Kundenberater die Online-Projekte unterstützt, wie soll dann bitte schön der Kunde dafür gewonnen werden können.

Wie sähe denn die richtige Strategie aus?

Zu häufig ist das Narrativ: Mensch gegen Maschine. Dieses Denken allerdings ist falsch. Innerhalb der Banken könnte oder sollte zum Beispiel vielmehr verlautet werden: Für die einfachen Dinge kommuniziert man mit dem Chatbot. Komplexere und vertrauenswürdigere Themen bespricht man mit dem Kundenberater. On- und Offline verschmilzt. Technologie gibt es im Überfluss und ist kein Differenzierungsmerkmal. Der Mensch und die Kultur sind Schlüssel zum Erfolg in der digitalisierten Bankenwelt.

Dieses Interview ist im “Punkt Magazin” erschienen (Quelle).