Intuition vs. Vernunft: Warum das Denken in einer fremden Sprache zu rationaleren Entscheidungen verhelfen kann

Soll man einen Menschen opfern, um fünf zu retten? Eine experimentelle Situation, in der die meisten Menschen nicht fähig sind, rationale Entscheidungen zu treffen. Aber was passiert, wenn jemand nicht in seiner Muttersprache abwägt? Eine aktuelles Experiment kommt hier zu erstaunlichen Ergebnissen.

Intuition vs. Vernunft: Warum das Denken in einer fremden Sprache zu rationaleren Entscheidungen verhelfen kann
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Die Wissenschaft konstruiert manchmal experimentelle Situationen, in die man im richtigen Leben hoffentlich niemals gerät, Entscheidungen, die man besser nicht treffen möchte. Doch gerade die grausamsten Zwickmühlen sind für die Moralpsychologie besonders interessant.

Man stelle sich vor, auf einer Brücke zu stehen und und sieht auf dem Gleis unter der Brücke einen Zug herannahen. Fünf Menschen befinden sich auf den Gleisen und scheinen des sicheren Todes – ausser, man schleudert den beleibten Mann, der neben einem auf er Brück steht, vor den Zug – dann könnten die anderen gerettet werden. Aus utilitaristischer Sicht ist ein Opfer besser als fünf. Aber jemanden vorsätzlich dafür in den Tod schicken? Dagegen stemmt sich das moralische Empfinden.

Eine Untersuchung von Psychologen der Universität Pompeu Fabra in Barcelona prüfte, ob die Entscheidung in diesem als Trolley-Dilemma bekannten Settings für die eine oder andere Grausamkeit davon beeinflusst wird, wenn das Szenario in einer Fremdsprache beschrieben wird. Als Studienteilnehmer waren Franzosen, Israelis, Amerikaner und Koreaner im Einsatz.

Es zeigte sich, dass die utilitaristischen Entscheidungen für das Töten des dicken Mannes um fast die Hälfte anstiegen (um 44 %), sobald die Anweisungen in einer Fremdsprache beschrieben wurden. Beim Szenario in Muttersprache waren es nur 18 Prozent an Probanden, die sich für den finalen Schubs von der Brücke entschieden.

Tod auf Knopfdruck

Das Experiment wurde danach modifiziert: Die Teilnehmer mussten entscheiden, ob sie mittels Schalter die Gleise verschieben würden. Damit würde der Zug umgeleitet und nicht fünf Personen überrollen, sondern nur eine, die sich am anderen Gleisstrang befindet. Derart entkoppelt vom Tötungsakt entschieden sich rund 80 Prozent der Probanden für die utilitaristische Variante, und das beinahe unabhängig von der eingesetzten Sprache.

Es scheint, als würde das Denken in Fremdsprachen emotionale Reaktionen verringern und das rationale Abwägen von Kosten und Nutzen fördern, so die Studienautoren. Ein weiterer Faktor mag sein, dass das Dechiffrieren einer anderen Sprache den kognitiven Fluss stört und voreilige Entscheidungen hemmt, sprich: utilitaristische Lösungen fördert. Eine erstaunliche Erkenntnis, die sich im Alltag ganz unterschiedlich auswirken kann – sei es bei Geschworenen in einem Land, dessen Sprache nicht die eigene ist, oder in multilingualen Settings wie der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen.

Fundamentale Entscheidungen sollten im besten Fall möglichst unabhängig von den sprachlichen Wurzeln getroffen werden, finden die Autoren:

It shouldn’t matter if you are considering the life of ‘‘the large man’’ or of ‘‘el hombre grande.’’ But it does matter. Given that what we have discovered is surprising and unintuitive, increasing awareness of the impact of using a foreign language may help us check our decision-making context and make choices that are based on the things that should really matter.

Quelle: Albert Costa et al., Your Morals Depend on Language, PLOS one, April 2014