Ein Resümee der 9. Academy of Behavioral Economics

Zum 9. Mal durften wir zur Academy of Behavioral Economics einladen – dieses Jahr wieder in Präsenz in Zürich. Unter dem diesjährigen Thema „The Power of Perspective-Taking: Tested Tools For a Post-Pandemic World” gab es spannende Vorträge und einen regen Austausch unter hochkarätigen Führungskräften. Ein Rückblick von Gerhard Fehr.

Ein Resümee der 9. Academy of Behavioral Economics

Am 4. Mai 2022 fand die 9. Academy of Behavioral Economics zum Thema „The Power of Perspective-Taking: Tested Tools For a Post-Pandemic World” statt. Dieses Jahr zum Glück wieder in Form einer Präsenzveranstaltung, und die war ein voller Erfolg: Über 120 hochkarätige Führungskräfte aus ganz Europa folgten unserer Einladung ins Gottlieb Duttweiler Institut in Rüschlikon bei Zürich. Zwölf hochkarätige Speaker:innen aus Forschung und europäischen Top-Unternehmen gaben Einblicke in die Theorie aber auch in die praktische Anwendung von „Perspective-Taking“. Das verhaltensökonomische Tool des Perspektivenwechsels kann ungeahnte Kräfte entfalten, sofern es richtig eingesetzt wird. Die aktive Betrachtung Erfahrungen anderer, beziehungsweise die Fähigkeit, sich systematisch, nachhaltig und richtig in andere Positionen hineinzuversetzen, ist heute für Ernst Fehr, Professor für Mikroökonomik und Experimentelle Wirtschaftsforschung am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Zürich, eine der zentralen Fragen zukunftsfähigen Leaderships. Nur wer heute fähig ist, die Perspektive von Mitarbeiter:innen, Kund:innen, Lieferant:innen oder auch Aktionär:innen einzunehmen, wird Erfolg haben. Marktdesigns bringen Menschen intuitiv in die Situation, sich den Themen der anderen anzunehmen. Darum ist auch in marktwirtschaftlich orientierte Gesellschaften von allen Menschen im täglichen Leben mehr Perspektivenwechsel erforderlich – was zu erheblichem Wohlstand führt.

Für den Wirtschaftsforscher Matthias Sutter, Volkswirt und Direktor am Max-Planck-Institut, ist „Perspective-Taking“ gerade heute, in einer von Krieg und Pandemie geprägten Wirtschaftswelt, zu einer zentralen Voraussetzung für ökonomischen Erfolg geworden. Seine Lösung: Kooperation, Zusammenarbeit und Entscheidungen in Gruppen. Zahlreiche Studien belegen, dass wir zum Beispiel in einer Gruppe Risiken besser einschätzen können, weil wir in Teams voneinander lernen, verschiedene Perspektiven auf unsere Unsicherheitsgesellschaft zu werfen. Das Egebnis: Diese Gruppen sind Einzelentscheidern hoch überlegen, lernen viel schneller und sind daraus zu viel bessere Prognosen für die Zukunft in der Lage. Doch Gruppen und Unternehmen müssen auch an der Spitze geführt werden.

Behavioral Economics News von Gerhard Fehr

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DABEI SEIN

Für Raffaella Sadun, Professorin für Betriebswirtschaftslehre in der Harvard Business School, braucht es dafür auch Top-Führungskräfte, die den Perspektivwechsel bewusst einsetzen und den Mitarbeiter:innen den nötigen Raum dafür geben, Dinge anders zu sehen. Standen früher die fachlichen Qualitäten von Führungskräften im Fokus, so sind es heute eine Fülle von Social Skills, die im Leadership gefragt sind. Diese sind aber nicht naturgegeben, sondern lassen sich in den Unternehmen entwickeln.

Felix Oberholzer-Gee, Professor an der Harvard Business School, zeigte in seinem Vortrag, dass Unternehmenserfolg davon abhängt, was die Kund:innen und Mitarbeiter:innen wollen. Unternehmen sollten sich immer zuerst fragen, welche Werte sie für ihre Stakeholder erschaffen – wer Werte schafft wird auch dafür belohnt werden und seine finanziellen Kennzahlen nachhaltig steigern. Für ihn werden heute in den Unternehmen zu viel Ressourcen damit verschwendet, insbesondere in strategischen Projekten keine Werte zu erschaffen. Mit dem „Value Stick“ können Führungskräfte sehr schnell entscheiden, worauf sie ihre strategische Aufmerksamkeit lenken sollten. Der Value Stick visualisiert einfach und intuitiv, ob einzelne strategischen Projekte wertvoll für ein Unternehmen sind, oder „Ressourcenfresser“ – es macht ihn länger oder kürzer. Erfolgreiche Unternehmen schaffen Werte für Kund:innen und Mitarbeiter:innen, indem sie in der Lage sind, die meisten strategischen Projekte, die den „Value-Stick“ verkürzen, schnell und unkompliziert zu stoppen oder gar nicht zu beginnen.

Sule Alan, Professorin für Wirtschaftswissenschaften am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und außerordentliche Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Bilkent-Universität in der Türkei und Gozde Corekcioglu, Assistenzprofessorin für Wirtschaftswissenschaften an der Kadir Has Universität in Istanbul, entwickelten Leadership- und Mitarbeiter Programme, die mittels Perspective-Taking das Arbeitsklima in Unternehmen verbessern. Mit Rollenspielen, Mentoren-Programmen und professionellem sowie konstruktivem Feedback konnte nicht nur die Mitarbeiter:innenfluktuation in Unternehmen deutlich gesenkt werden, sondern auch der wirtschaftliche Erfolg dieser Unternehmen deutlich gesteigert werden. Die beiden Forscherinnen zeigten zudem, dass unter anderem Wettbewerb, wenn er in Unternehmen undifferenziert eingesetzt wird, zu toxischen Kulturen führen kann – dies ist natürlich auch Gift für den Erfolg dieser Unternehmen. Die Quintessenz hier: Das Signal der Führungskräfte, sich verändern zu wollen, und die Perspektive der Mitarbeitenden einzunehmen, führt schon zu erheblichen Verbesserungen. Die Verhaltensänderungen steigern nachweislich die Effizienz im Unternehmen.

Wie wichtig „Perspective taking“ heute in Unternehmen in einem Transformationsprozess ist, lässt sich selbst in einer handfesten Branche wie der Bauwirtschaft belegen. Birgit Wagner, Geschäftsführerin der Strauss Property Management GmbH, hat beim führenden österreichischen Bauunternehmen PORR im Jahr 2019 das Projekt PORR 2025 initiiert, um das Unternehmen mit Innovationen und Effizienzsteigerungen für zukünftige Herausforderungen zu rüsten. Keine einfache Aufgabe, doch der systematische Perspektivwechsel führt bereits nach drei Jahren zu messbaren Effizienzsteigerungen. Karl-Heinz Strauss, CEO der PORR AG, hat diesen Prozess von oben angestoßen und fühlt sich heute in seiner Entscheidung bestätigt, hier den richtigen Weg gegangen zu sein.

Marina Weilenmann, Director und Head of Change Portfolio Management der Credit Suisse und Elena S. Narciss, Assistant Vice President in Change Projects bei Credit Suisse, haben mit rund 4000 Mitarbeiter:innen neue Arbeitsmodelle in der Schweizer Großbank erforscht und erprobt. Das Fazit der Studie ist: Eine „One-size-fits-all-Lösung“ gibt es nicht, sondern es braucht maßgeschneiderte Lösungen. Mit Perspective-Taking konnten vorgefasste Meinungen von Mitarbeiter:innen und Führungskräften abgebaut und so der Weg für Neues geebnet werden.

Mario Günther Rauch, Geschäftsführer vom jö Bonus Club, dem mit 4,2 Millionen Mitgliedern größten Kund:innenbindungsprogramm für den stationären Handel in Österreich, zeigte in seinem Vortrag, wie sich mit einem systematischen Perspective-Taking die Angebote für die jö-Bonusclub-Mitglieder, aber auch für die Partner optimieren ließen. Entscheidend für ihn ist, dass im Unternehmen selbst eine experimentelle Kultur gefördert wird, um optimale Angebote für die Kund:innen und die Partner zu entwickeln.

Für Hans-Joachim Voth, Professor für Wirtschaftswissenschaften und Direktor am UBS Center for Economics und Society an der University of Zurich, ist der naheliegendste Perspektivwechsel der Blick in die Vergangenheit. Am Beispiel der Pandemien der Vergangenheit zeigte er auf, welche negativen, aber auch positiven Folgen in der Geschichte aus Pandemien resultierten. Zum Beispiel blühe Europa nach der Pest im 15 Jahrhundert wieder deutlich auf. Die Pest-Überlebenden bezogen wieder höhere Einkommen, die Ressourcenknappheit reduzierte sich und auch die Frauenrolle in der Gesellschaft erfuhr eine deutliche Aufwertung. Aus dem historischen Blick lassen sich für ihn wichtige Schlüsse für die aktuelle Pandemie ziehen. Für ihn gibt es ein großes Spannungsfeld bei der aktuellen Pandemiebekämpfung zwischen „Low-Covid-Modellen“ und „Zero-Covid-Modellen“ wie etwa in China. Während China auf Zwangsmaßnahmen gesetzt hat und damit insbesondere am Beginn der Pandemie zum Teil erfolgreicher war, so war in westlichen Demokratien die Kooperation der Bevölkerung entscheidend. Heute zeigt sich, dass Zwang zwar kurzfristig Erfolge zeigt, aber keine langfristige Strategie darstellt. Für Ihn würde ein Mix aus beiden Strategien Sinn machen.

Die Vorträge und Diskussionen auf der 9. Academy of Behavioral Economics zeigten, daß „Perspective-Taking“ ein wichtiger Teil einer Erfolgsformel ist. Doch der Perspektivwechsel muss in komplexen Systemen wie Unternehmen, Organisationen und Staaten mit maßgeschneiderten Tools implementiert werden, um die volle Kraft entfalten zu können. Ein wichtiger Erfolgsfaktor dabei ist, dass trotz der hohen Komplexität dieser Systeme die Tools möglichst einfach und intuitiv gestaltet sein müssen. Zudem braucht es Ressourcen und den Mut, Freiräume zu schaffen – das gemeinsam ist nichts anderes, als weitsichtiges Leadership.

Ich möchte mich herzlich für Ihre Teilnahme an der 9. Academy of Behavioral Economics bedanken. Teile der Videos mit den Vorträgen und Diskussionen werden ab dem 23. Mai zum Nachsehen zur Verfügung stehen!

Lassen Sie uns gemeinsam an einer besseren und erfolgreichen Zukunft weiterarbeiten!

Gerhard Fehr