Corona-Schnelltest: Sind die neuen Antikörpertests aus der Apotheke valide?

Der neue Antikörper-Schnelltest soll die Frage beantworten, ob man mit dem Coronavirus in Kontakt kam. Liefern diese Tests valide Ergebnisse? Ein Selbstversuch und weitere Überlegungen

Corona-Schnelltest: Sind die neuen Antikörpertests aus der Apotheke valide?

Am 13. März fing es plötzlich an: Ich fühlte mich angeschlagen, hatte mit trockenem Husten zu kämpfen und meine Körpertemperatur war leicht erhöht – typische Symptome einer Coronavirus-Erkrankung. Ab dem 16. März begab ich mich für 14 Tage in Selbstquarantäne, um mögliche weitere Infektionen zu vermeiden.

Nach dem Osterwochenende waren die Symptome verschwunden und ich wieder fit. Doch ich wollte nichts dem Zufall überlassen und entschied mich dafür, einen Antikörper-Schnelltest durchführen zu lassen. Ich wollte wissen, ob meine Symptome von einer Coronavirus-Infektion ausgelöst wurden und wenn ja, ob ich nun Immunität erlangt habe.

Seit Ostermontag führen Apodro-Apotheken Antikörper-Schnelltests auf das Coronavirus vor Ort durch. Man kann sich erst 3-7 Tage nach Auftreten der ersten Symptome testen lassen, da zu Beginn der Krankheit noch keine ausreichende Konzentration von Antikörpern vorliegt und das Ergebnis somit fehlerhaft wäre. Die Kosten eines solchen Tests liegen bei 100 Franken und werden von Krankenversicherungen nicht übernommen.

Vor dem Testen

Pünktlich betrat ich die Apotheke. Die Antikörper-Schnelltests werden nur von 10-12 Uhr durchgeführt, daher ist auch auf dem Flyer des Schnelltests vermerkt, dass es aufgrund des hohen Andrangs zu Wartezeiten kommen kann. Die Apothekerin klärte mich über die Art des Tests und dessen Aussagekraft auf und was bei welchen Resultaten zu tun ist. Bevor der Test durchgeführt werden konnte, musste ich Mund- und Nasenschutz anlegen und meine Hände gründlich desinfizieren. Ich bekam sogar eine Anleitung vorgelegt, wie man Hygienemasken anlegt und seine Hände richtig desinfiziert. Dann konnte es auch schon losgehen.

 

Während des Testens

Der Antikörper-Schnelltest auf das Coronavirus ähnelt einem Schwangerschaftstest und dauerte nur wenige Sekunden: Ein kleiner Pikser in die Fingerkuppe, mein Blut tropfte auf das Testfeld des Untersuchungsgeräts und wurde sofort mit Pufferlösung verdünnt. Eine rote Linie im Ergebnisfeld zeigt, ob im abgenommenen Blut Antikörper vorhanden sind. Nachdem der Antikörper-Schnelltest durchgeführt wurde, konnte ich wieder nach Hause gehen. Das Testergebnis liegt innerhalb von 10 Minuten vor, die Patienten erfahren ihr Resultat binnen einer Stunde per Telefon.

Nach dem Testen

Knapp eine Stunde nach der Blutabnahme am Finger klingelte mein Handy und die Apothekerin teilte mir mein Ergebnis mit: Negativ. Ich kam (noch) nicht mit dem Coronavirus in Kontakt und konnte somit auch keine anderen Menschen infizieren. Das negative Testergebnis bedeutet aber auch, dass ich nicht immun gegen das Virus und sozusagen noch Risikopatient bin. Das heißt für mich nun, dass ich weiterhin Schutzmaßnahmen ergreifen muss, um mich und andere zu schützen. Ein negatives Ergebnis ist kein Freifahrtschein, um sich nicht an die empfohlenen Maßnahmen zu halten. Im Gegenteil: Gerade jetzt ist es noch wichtiger, allgemeine Hygienevorschriften und Social-Distancing-Maßnahmen einzuhalten, um nicht infiziert zu werden.

Falsch positiv, falsch negativ: Wie valide sind die Ergebnisse dieser Schnelltests?

Der „NADAL COVID-19 IgG/IgM Rapid Test“, mit dem ich auf Antikörper untersucht wurde, liefert laut Hersteller nahezu hundert Prozent sichere Ergebnisse. Es gibt zwei Arten von Antikörpern, die der Test anzeigt: IgM-Antikörper sind ein Indiz für eine relativ frische Infektion und treten nach 3 bis 7 Tagen nach der Infektion auf. IgG-Antikörper werden erst knapp 3 Wochen nach Infektionsbeginn gebildet, das heißt, diese können erst später nachgewiesen werden.

Wurde eine Person mit dem Coronavirus infiziert, kann der Test entweder positiv (richtig positiv) oder negativ (falsch negativ) ausfallen. Ebenso kann der Test bei einer gesunden Person ein negatives (richtig negativ) oder ein positives (falsch positiv) Ergebnis anzeigen.

Person ist krank Person ist gesund
Test ist positiv Richtig positiv Falsch positiv
Test ist negativ Falsch negativ Richtig negativ

Die Sensitivität eines Tests zeigt, bei welchem Prozentsatz erkrankter Personen die Krankheit tatsächlich durch die Anwendung des Tests erkannt wird, also wie groß die „richtig positiv“-Rate ist. Die Spezifität eines Tests gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass gesunde Personen auch im Test als gesund erkannt werden, also wie groß die „richtig negativ“-Rate ist.

Sowohl die Sensitivität, als auch die Spezifität des Antikörpertests wurden vom Hersteller als sehr hoch deklariert (über 90 Prozent).

Mithilfe der Bayesschen Formel kann man ausgehend von der Sensitivität bzw. Spezifität berechnen, wie hoch die Sicherheit ist, dass man bei Vorliegen eines positiven Testergebnisses auch wirklich mit dem Virus infiziert wurde und vice versa. Diese Sicherheit nennt sich positiver bzw. negativer Voraussagewert. Das Problem hierbei ist, dass die Bayessche Formel kaum jemand versteht, geschweige denn korrekt anwenden kann. Außerdem fehlt für die Berechnung der Sicherheit eine wichtige Größe: Das ist die Wahrscheinlichkeit dafür, wie viele Menschen in der Bevölkerung tatsächlich infiziert sind, also die Basiswahrscheinlichkeit. Die offiziellen Infektionszahlen sind deutlich geringer als die Dunkelziffer. In Österreich wurden bisher rund 16.000 Fälle bestätigt (Stand: 18.05.2020), das heißt, dass offiziell 0,18 Prozent der Bevölkerung mit dem Coronavirus infiziert sind. Schätzungen zufolge ist die Dunkelziffer 10-Mal so hoch, was bedeutet, dass ca. 1,8 Prozent der österreichischen Bevölkerung infiziert sind.

Nehmen wir an, dass die Sensitivität des Antikörpertests bei 95 Prozent und die Spezifität bei 90 Prozent liegt. Die Stichprobengröße liegt bei 1000 Personen und die Basisrate (auch Prävalenz genannt) bei 50 Prozent, was bedeutet, dass 500 Personen gesund und 500 Personen krank sind.

Person ist krank Person ist gesund
Test ist positiv 475 50
Test ist negativ 25 450

Bei 500 infizierten Menschen zeigt der Test 475 als positiv an (richtig positiv) und 25 als negativ (falsch negativ). Bei 500 gesunden Menschen zeigt der Test 450 als negativ an (richtig negativ), aber auch 50 als positiv an (falsch positiv).

Daraus ergibt sich ein positiver Voraussagewert (Sicherheit, dass man bei einem positiven Testergebnis auch wirklich krank ist) von 90 Prozent und ein negativer Voraussagewert (Sicherheit, dass man bei einem negativen Testergebnis auch wirklich gesund ist) von 95 Prozent.

Nehmen wir nun an, dass die Basisrate nur 10 Prozent beträgt und alle anderen Faktoren gleichbleiben. Demnach liegt bei 100 Personen eine Infektion vor, 900 Personen sind gesund.

Person ist krank Person ist gesund
Test ist positiv 95 90
Test ist negativ 5 810

In diesem Beispiel, in dem von einer niedrigeren Basisrate ausgegangen wird, liegt der positive Voraussagewert nur bei 51 Prozent. Der negative Voraussagewert beträgt hingegen 99 Prozent.

Das Beispiel verdeutlicht den Zusammenhang zwischen der Basisrate und den Voraussagewerten. Je niedriger die Basisrate, desto sicherer ist ein negatives Testergebnis. Bei einer Basisrate von 10 Prozent liegt die Wahrscheinlichkeit, dass man bei Vorliegen eines negativen Testergebnisses auch wirklich gesund ist, bei 99 Prozent. Das zeigt, dass der Test bei negativen Ergebnissen sehr valide ist. Anders jedoch bei positiven Testergebnissen: Geht man wieder von einer Basisrate von 10 Prozent aus, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ein positives Ergebnis eine Erkrankung bedeutet, nur bei 51 Prozent. Je niedriger die Basisrate, desto unsicherer ist ein positives Testergebnis. In diesem Beispiel sind wir der Einfachheit halber einer Prävalenz von 10 Prozent ausgegangen. Die Basisrate liegt bei einer Infektion mit dem Corona-Virus aber nur bei 0,18 Prozent (offizielle Zahlen) bzw. 1,8 Prozent (Schätzung der Dunkelziffer), was bedeutet, dass der Test bei positiven Testergebnissen überhaupt nicht valide ist. Die Tests werden erst valide, wenn die Prävalenz steigt, also mehr und mehr Menschen mit dem Virus infiziert werden.

Auch eine Untersuchung der Bundesligamannschaft Eintracht Frankfurt zeigt, dass man sich nicht allein auf die Schnelltests verlassen sollte. Die Spieler wurden mit zwei verschiedenen Tests untersucht und die Ergebnisse dieser Tests wichen bei einem Viertel der Proben voneinander ab.

Gerd Gigerenzer, Psychologe, Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Direktor des Harding-Zentrum für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, empfiehlt, statt der Bayesschen Formel natürliche Häufigkeiten anzuwenden. Die Ergebnisse seiner Experimente zeigen, dass sowohl Laien als auch Experten wie Mediziner oder Juristen nicht gut darin sind, aus bedingten Wahrscheinlichkeiten die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die meisten Menschen interpretieren die Angaben der Hersteller nicht richtig und wiegen sich in falscher Sicherheit. Natürliche Häufigkeiten helfen hingegen, statistische Informationen klar darzustellen und zu bewerten.

Testen – aber richtig!

Die Antikörpertests sind bei negativen Testergebnissen sehr valide, doch sehr fehlerhaft bei positiven Testergebnissen. Dieser Fehleranfälligkeit bedeutet aber nicht, dass wir überhaupt nicht testen sollten. Antikörpertests liefern uns historische Daten darüber, wer schon mit dem Virus in Kontakt kam und wer nicht. Sie sind wertvoll, um das Virus Sars-CoV-2 und seine Verbreitung weiter zu erforschen. Infektionstests zeigen hingegen, wer im Moment mit dem Virus infiziert ist. Um die Infektionsrate zu senken, ist es elementar, so viele Infizierte wie möglich zu identifizieren und von den Gesunden zu isolieren. Die Infektionsketten müssen unterbrochen werden, um weitere Infektionen zu vermeiden.

Systematisches Testen und das Identifizieren von Infektionswegen durch Contact-Tracing bilden die Grundlage für eine rasche Erholung der Wirtschaft, da dadurch einerseits eine unverzerrte Sichtweise auf den derzeitigen Status-Quo der Corona-Krise ermöglicht und andererseits die Evaluierung der bestehenden Maßnahmen durchführbar wird. Ein flächendeckendes Test-Regime ist notwendig, denn nur auf Basis von validen und reliablen Daten, die wir durch systematisches Messen generieren, können gezielte Maßnahmen zur schrittweisen Lockerung des Lockdowns gesetzt werden. Sollte es durch frühzeitige Öffnungen zu einer zweiten Infektionswelle kommen, wären die wirtschaftlichen und psychologischen Auswirkungen verheerend. Um einen möglichen zweiten Lockdown zu vermeiden, ist eine objektive Bestandsaufnahme der tatsächlichen Infektionsrate durch Infektionstests unentbehrlich. Randomisiertes Testen und Contact-Tracing ebnet uns den Weg aus der Corona-Krise.

Aus diesem Grund haben wir die Initiative „Test the world to make it a safer place“ zusammen mit Wissenschaftlern und Business-Leadern aus aller Welt ins Leben gerufen. Unser Ziel ist es, Entscheidungsträger darauf aufmerksam zu machen, dass systematisches und randomisiertes Testen erforderlich ist, um einen Kollaps unseres Gesundheitssystems zu vermeiden und eine sichere Wiederherstellung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens zu gewährleisten.

Bitte unterstützen Sie uns bei diesem Anliegen, indem Sie unsere Petition unterschreiben:

https://testtheworld.org/

Bleiben Sie gesund.

Gerhard Fehr
CEO & Executive Behavioral Designer
FehrAdvice & Partners AG, Zürich