Hobby-Recruiter im Lebensmittelhandel: Studie zu Experimentability im Kontext von Mitarbeiterempfehlungsprogrammen

Wie eine Supermarktkette durch Experimentability nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit erhöhte, sondern auch gleichzeitig einfacher neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anwerben konnte.

Hobby-Recruiter im Lebensmittelhandel: Studie zu Experimentability im Kontext von Mitarbeiterempfehlungsprogrammen
Bild: Shutterstock

In diesem Beitrag geht es um die wichtigste Managementressource in unserer digitalen Welt: Experimentability. Wir zeigen einen Fall direkt aus der Praxis, in dem eine grosse Supermarktkette durch Experimentability nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit erhöhte, sondern auch gleichzeitig einfacher neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anwerben konnte.

Wie kommt man an die besten Mitarbeiter?

Gerade in Zeiten des immer stärkeren Facharbeitermangels eine wichtige Frage, die viele Personalabteilungen beschäftigt. Und auch hier haben sich Experimente als erfolgreich erwiesen: Bei der Studie mit dem Titel „What Do Employee Referral Programs Do?“ gingen Guido Friebel, Matthias Heinz, Mitchell Hoffman sowie Nick Zubanov im Rahmen eines Experiments der Frage nach, ob Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programme funktionieren. Veröffentlicht wurde die Studie im April 2019.

Solche Employee Referral Programs, abgekürzt ERPs, deutsch Mitarbeiterempfehlungsprograme beziehungsweise Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programme sind inzwischen weitgehend bekannt: Mit ihren ERPs bieten Unternehmen den bestehenden Mitarbeitern die Möglichkeit, Verwandte, Freunde oder Bekannte aus ihrem privaten Umfeld zu empfehlen. Ist eine passende Stelle frei, können daraus geeignete Kandidaten ausgewählt werden. Ganz wichtig ist bei ERPs die Incentivierung: Kommt es zu einer Einstellung, erhält der Mitarbeiter, der den Kandidaten empfohlen hat, einen Bonus.

Doch funktionieren ERPs in der Praxis – und selbst in einer durch hohe Mitarbeiterfluktuation gekennzeichneten Branche wie dem Lebensmittelhandel?

Die Studie der vier Wissenschaftler wurde im April 2019 veröffentlicht und erhält – um es gleich vorwegzunehmen – eine Reihe von interessanten Erkenntnissen. Die Aufgabenstellung der Forscher: Bei genau 238 Niederlassungen einer grossen Lebensmittelhandelskette in Osteuropa wurde eine randomisierte kontrollierte Studie durchgeführt. Eigentlich aus der Medizin stammend, gelten randomisierte kontrollierte Studien als die ideale Vorgehensweise, um bei einer eindeutigen Fragestellung eine eindeutige Aussage zu erhalten und die Kausalität zu belegen – daher wurde diese Testvariante gewählt. Auf die Branche kamen die Forscher, weil der Lebensmitteleinzelhandel traditionell unter einer besonders hohen Fluktuation leidet. Gleichzeitig hat der Lebensmitteleinzelhandel den Vorteil, sehr inklusive Zugangsbedingungen zu besitzen. Das für die Arbeit notwendige Wissen kann rasch akquiriert und das Training schnell erledigt werden. Beste Voraussetzungen also für ein ERP: Jeder kann sein Familienmitglied oder seinen Freund empfehlen – und davon ausgehen, dass dieser den Job und er den Bonus erhält. Dadurch sind die Erkenntnisse der Studie für Millionen von Jobs weltweit repräsentativ.

Das Unternehmen hatte bereits früher, Anfang der Nullerjahre, ein ERP, das erfolgreich betrieben wurde und damit bereits einiges an Erfahrung in diesem Gebiet. Deswegen konnten die Forscher in enger Zusammenarbeit mit der Personalabteilung des Lebensmitteleinzelhändlers ein neues ERP aufsetzen, das den Studienzwecken bestens entsprach, dann vom Unternehmen direkt implementiert wurde – und, um auch dies vorwegzunehmen, heute noch im Einsatz ist.Auch das zeigt eindeutig: Ein Unternehmen, das sich bereits einmal für Experimentability entschieden hat und die Erfolge dessen kennt, bleibt Experimentability auch in Zukunft treu.

In der neuen Studie wurde untersucht, wie das Unternehmen ein ERP aufbauen muss, um besonders erfolgreich zu sein. Dazu variierten die Autoren, wie eine Weiterempfehlung incentiviert wurde: Alle 238 Filialen der Supermarktkette wurden nach dem Zufallsprinzip entweder einer Kontrollgruppe ohne ERP oder einer von vier unterschiedlichen ERP-Programmen zugeordnet, die allesamt in Informationsveranstaltungen vorgestellt sowie mit Plakaten beworben wurden, von denen aber eines gar keine Weiterempfehlungsprämien, sondern nur mündliche Belohnung anbot. Die anderen drei ERP-Programme zahlten zusätzlich zum Lob der Vorgesetzen unterschiedliche Prämien von bis 120 Euro, also rund 40 Prozent des in Osteuropa im Lebensmittelhandel üblichen Monatsgehalts nach Steuern.

In den vier Varianten mit Prämien R0 – kein finanzieller Bonus, R50, R90 und R120 – führten die Filialleiter selbst Informationsveranstaltungen mit Mitarbeitern durch.Während der Informationsveranstaltungen erhielten alle Mitarbeiter einen Brief, der die Modalitäten des ERP erklärte.Dieser Brief wurde von den Filialleitern zusätzlich während des Meetings vorgelesen.Die Personalabteilung hat dafür gesorgt, dass die Besprechungen in der jeweiligen Filiale stattfanden.Darüber hinaus kommunizierte die Personalabteilung auch mit den regionalen Managern, also der Hierarchieebene über den Geschäftsleitern. Aber weder die Mitarbeiter noch die Filialleiter wussten, dass sie Teil eines Experiments sind.

Über die bereitgestellten Informationen hinaus haben die Arbeitnehmer in den drei Varianten mit Geldprämien sofort 15 Euro bekommen, nachdem die empfohlene Person eingestellt wurde. Der Restbetrag von 35, 75 respektive 105 Euro wurde ausbezahlt, wenn sowohl die empfohlene Person als auch der Mitarbeiter, der durch seine Empfehlung neu eingestellt wurde, mindestens fünf Monate im Unternehmen verblieb. Die jeweiligen Modalitäten der vier Gruppen wurden in den Briefen, aber auch in den Versammlungen genau erklärt und konnten jederzeit auch über die Personalabteilung erfragt werden.

Ergebnisse der Studie

Nach der 13 Monate langen Studienphase ging es für die Wissenschaftlerdaran, die gesammelten Datensätze ihrer Experimente auszuwerten – und mit ihren Hypothesen zu vergleichen.Fünf Hypothesen wurden untersucht: Erstens: Höhere Boni für die Weiterempfehlung erhöhen die Anzahl der Weiterempfehlungen. Zweitens: Empfohlene Mitarbeiter sind besser als nicht empfohlene – aber nur bis zu einer gewissen Grenze: Im selben Ausmass, wie die Boni steigen, sinkt die Qualität der empfohlenen Mitarbeiter. Drittens: Das Vorhandensein eines ERP in einem Unternehmen erhöht die Mitarbeiterbindung – und selbst dann, wenn in einem Geschäft das ERP nicht zu Neueintritten führen sollte. Viertens: Solange die dafür budgetierten Boni nicht zu hoch sind, erhöht ein ERP den Unternehmensgewinn – erstens durch die geringere Fluktuation und zweitens durch die Neueintritte motivierter Mitarbeiter. Und zuletzt fünftens: Für attraktive Jobs werden mehr Mitarbeiter neue Mitarbeiter empfehlen – denn bessere Arbeitsmöglichkeiten werden möglichen Kandidaten im Bekannten- oder Familienkreis lieber als Chance genannt. Alle fünf Arbeitshypothesen konnten durch die Studie verifiziert werden und wurden dabei auch mit Zahlen aus den Datensätzen untermauert.

Durch Experimentability kam zudem auch heraus, welche Variante der vier Bonifikationsgruppen die besten Erfolge hatte: Die meisten Weiterempfehlungen kamen in der Variante mit der höchsten finanziellen Prämie, hier war auch die statistische Abweichung zur Kontrollgruppe ohne ERP am höchsten. Durch das Experiment konnte auch bewiesen werden, dass die Kosten für das ERP durch die Einsparungen für das Unternehmen mehr als nur wett gemacht wurden. Denn die Fluktuation konnte bei allen ERP-Varianten deutlich reduziert werden – und der Abgang eines Mitarbeiters kostete dem untersuchten Unternehmen durchschnittlich 250 Euro, also mehr, als selbst der höchste Bonus für ein durch einen Mitarbeiter neu angeworbenen Mitarbeiter betrug. Besonders bemerkenswert waren auch positiven Auswirkungen auf die Mitarbeiterbindung und die Stimmung im Unternehmen: Zwei Drittel der Mitarbeiter fühlten sich durch das ERP ungeachtet der Höhe der Bonifikation mehr respektiert.

Dieser Zugewinn an Wertschätzung ist zugleich jener Faktor, der wohl alle Branchen betrifft, wie die Studienautoren resümieren: Mitarbeiter schätzen es, beim Personalaufbau ihres Arbeitgebers eingebunden zu werden, was sich positiv auf das Betriebsklima und damit letzten Endes auf die Produktivität und die Profitabilität auswirkt. Denn bereits das Vorhandensein eines ERP beweist, dass das Unternehmen mich als Arbeitskraft schätzt – es würde ja wohl kein Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programm einführen und mich um Teilnahme bitten, wenn es nicht davon ausgehen würde, dass mein soziales Umfeld aus wertvollen potenziellen Arbeitskräften besteht. Und diese Wertschätzung seitens des Arbeitsgebers ist schliesslich das, was Mitarbeitern besonders am Herzen liegt – denn auch wenn den Satz „unsere Mitarbeiter sind unser wichtigstes Asset“ niemand mehr hören will, möchte zugleich auch niemand jene Wertschätzung missen, die dieser Satz impliziert. Dieses Gefühl der Zufriedenheit bei den Mitarbeitern zu erreichen, ihr Commitment zu steigern, die Fluktuation zu senken und letzten Endes zu einem besseren Personal zu kommen, ist eine Folge vieler Massnahmen. Doch welche Massnahmen das genau sind, lernt man erst durch Experimente. In diesem Sinne ist Experimentability tatsächlich die wichtigste Ressource jedes Unternehmens – und die Basis für den nachhaltigen Geschäftserfolg.

Quelle: 

Friebel, Guido, Heinz, Matthias,  Hoffman, Mittchell & Nick Zubanon. (2019). What Do Employee Referral Programs Do (abgerufen am 06.09.2019)

 

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