Academy of Behavioral Economics 2020: Verhaltensökonomie-Gipfel der Superlative

Führende Wissenschaftler und Praktiker aus vier Kontinenten zeigten bei der «Academy of Behavioral Economics 2020», wie man in Zeiten höherer Unsicherheit und Komplexität evidenzbasiert Probleme löst.

Academy of Behavioral Economics 2020: Verhaltensökonomie-Gipfel der Superlative

Am Mittwoch (29.01.) fand in Kooperation mit dem Gottlieb Duttweiler Institut in Zürich/Rüschlikon die Academy of Behavioral Economics 2020 von FehrAdvice statt. Unter dem Titel “Trust and Facts: Better Decision-making in an Age of Growing Populism” standen drei Aspekte im Fokus: Kooperation und Feedback, Factfulness und Debiasing und Lügen und Wahrheit. Eine Reihe führender Wissenschaftler und Praktiker aus vier Kontinenten stellten in dem inhaltlich wieder sehr dichten Programm ihre Arbeit vor und die Wege, mit denen neue und wirksame Lösungen erzielt werden konnten.

Experimente statt populistischer Scheinlösungen

Der Gründer und CEO von FehrAdvice, Gerhard Fehr, betonte in seiner Einleitung: “Für Gesellschaft, Politik und Unternehmen liegen mit der Klimakrise, der Digitalisierung, der alternden Gesellschaft, globalen Machtverschiebungen und neuen Kundenbedürfnissen grosse Herausforderungen auf dem Tisch. Mit verhaltensökonomischen Tools erreichen wir, dass Unsicherheit und Komplexität in Gesellschaft und Märkten als Chancen wahrgenommen und genutzt werden.”

Statt naheliegenden, einfachen sowie intuitiven Lösungen, wie sie Populisten versprechen brauche es Experimente. Fehr warnte davor, Managementtrends und Modeerscheinungen aufzusitzen; die nur populistische Scheinlösungen bieten würden.

Gute Institutionen reduzieren Komplexität und Unsicherheit

In der Folge erläuterte Johannes Haushofer, Assistenz-Professor für Psychologie und Public Affairs in Princeton, anhand von systematischen Experimenten in Afrika, welche Verhaltensmechanismen den Aufstieg aus der Armut fördern können. “Armut verursacht Stress und damit höhere Cortisolwerte, was wiederum impulsive, schlechtere Entscheidungen fördert. Gute Institutionen helfen Komplexität und Unsicherheit zu reduzieren, im gesellschaftlichen wie im unternehmerischen Kontext.” Da es keine universell gültigen Lösungen gibt, ermutigte auch er zu Experimenten.

Christian Ruff, Professor für Neuroökonomie und Neurowissenschaft der Entscheidungsprozesse an der Universität Zürich erklärte: “Unter Unsicherheit neigen Menschen dazu Entscheidungen zu delegieren. Erfolgreiche Leader zeigen konsistentes Entscheidungsverhalten – unabhängig vom Kontext.” Unternehmen sollten verstärkt gezielte Leadership-Trainings anbieten, in denen man seinen Führungsstil kennen lernen kann, um künftig konsistenter zu entscheiden.

Wie Unsicherheit mit Ehrlichkeit korreliert

Michel Maréchal, Professor der Ökonomie an der Universität Zürich, zeigte anhand von einem Experiment in 40 Ländern auf, wie ehrlich mit verlorenen Gegenständen umgegangen wird: “Entgegen den pessimistischen Erwartungen werden verlorene Geldbörsen sogar eher zurückgegeben, wenn sich ein Geldbetrag darin befinden. Wir konnten aber auch zeigen, dass wenn in den vorgeblich verlorenen Geldbörsen ein Hinweis auf eine krisenhafte Situation ist, die Ehrlichkeit der Finder sinkt.” Unsicherheit – beispielsweise in Form einer Wirtschaftskrise – kann sich also negativ auf die Ehrlichkeit der Menschen auswirken. Die Schweiz und Deutschland befinden sich übrigens in den Top10 der Ehrlichkeit, Österreich wurde nicht erhoben.

Der gebürtige Vorarlberger Matthias Sutter, Direktor des Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, erklärte die besondere Bedeutung von Geduld. Mit ihr tauschen wir im Alltag Gegenwart und Zukunft ab: “Schon bei Kindern zeigt sich, dass Geduld eine grosse Auswirkung auf künftigen Erfolg im Leben hat – von höherer Bildung über gesunde Lebensweise bis hin zur ausreichenden Altersvorsorge.” Insofern sollte Geduld von früher Kindheit durch Eltern und Erziehungswesen gefördert werden. Stabile Rahmenbedingungen in einer Gesellschaft und Verlässlichkeit fördern Geduld in einer Gesellschaft.

Herdenverhalten und Populismus

Eyal Winter, Wirtschaftsprofessor an der Universität Lancaster sowie der Hebräischen Universität Jerusalem zeigte auf, warum Emotionen für uns als Einzelpersonen nützlich sind, sich aber in Gruppen negativ auswirken: “Es ist durch die Evolution angelegt, dass wir einerseits für die Jagd kooperieren, allerdings mit anderen Gruppen in starke Konkurrenz treten. Gemeinsam erlebte Emotionen wie Wut, Trauer und Freude stärken den Zusammenhalt – mit positiven wie negativen Folgen.” In der Politik führe das zu Herdenverhalten und einer Neigung zum Populismus. In Unternehmen könne man dem mit einer Mischung aus individuellen und Gruppen-Incentives Gegensteuern.

Eine praktische Anleitung kam von Peter Bossaerts, Professor für Experimental Finance und Decision Neuroscience and der Universität Melbourne: “Die Menschen vermeiden Komplexität, und wenn sie sich in komplexen Situationen befinden, neigen sie zu einfachen Lösungen. Handeln nach Versuch und Irrtum ist aber keine gute Strategie. Dagegen helfen richtig gestaltete Marktmechanismen, die die Komplexität reduzieren und verhindern, dass man in die Populismusfalle tappt.”

Mit Bauchentscheidungen zu guten Ergebnissen

Der Erfolgsautor, Direktor emeritus des Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Direktor des Harding-Zentrum für Risikokompetenz Gerd Gigerenzer, zeigte, dass man auch mit klugen Bauchentscheidungen aufgrund von Heuristiken und Intuition gute Ergebnisse erzielen kann: “Heuristiken kann man genau beschreiben, auch falsifizieren. Intuitionen wiederum beruhen auf langjähriger bereichsspezifischer Erfahrung, sie ist nicht mehr begründbar. Oft wird in Organisationen nachträglich nach Gründen gesucht.” Eine Gefahr bestehe im defensiven Entscheiden, wenn weitere Optionen gewählt werden, um sich vor Verantwortung zu drücken, auch wenn das dem eigenen Unternehmen schadet. “Eine Absicherungskultur mit immer mehr Dokumentation und Misstrauen hemmt Innovation”, betonte Gigerenzer.

Werkstattberichte kamen über den Tag verteilt von Daniela Ebner (Alpla Werke) über interne Produktivitäts- und Change-Programme, Antje Kanngiesser vom Schweizer Energieversorger BKW über stärkere Kundenorientierung im Energiesektor und Mirjam Bamberger (Axa Winterthur) darüber, wie sich das Kundenerlebnis durch angewandtes Behavioral Design verbessern lässt. Weitere prominente Referenten und Interviewpartner waren Gottlieb Duttweiler Institut-CEO David Bosshart, Tobias Lukas und die Diversity-Beraterin Esther-Mirjam de Boer.

In seiner Dinner Speech schloss Ernst Fehr, Professor der Mikroökonomik und experimentellen Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich, den Bogen des Tages: “Unter Stress treffen Menschen schlechtere Entscheidungen, das Vertrauen sinkt, kurzfristige Gewinne werden noch attraktiver. Diese Spirale können wir durchbrechen – aber eben nicht durch Daumenregeln oder einfache populistische Antworten. Stattdessen brauche es inklusive Institutionen, systematische Experimente und eine effektive Kultur der Kooperation, die auch Trittbrettfahrer in die Schranken weist. Diese Kultur erreicht man durch offenes Feedback und permanente Kommunikation über Werte.”

Jetzt anmelden: Behavioral Economics Summer School 2020

Auch der nächste Höhepunkt des Kongressjahres steht bereits fest: Am 4. Juni 2020 bietet FehrAdvice wieder die Behavioral Economics Summer School an, bei der die Teilnehmer gemeinsam evidenzbasierte Prototypen designen und einer ersten Überprüfung unterziehen. Gemeinsam taucht man in die Welt des Experimentierens ein.

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