Namhafte Unternehmen wie Amazon und die Deutsche Bank haben in den letzten Wochen ihre Mitarbeitenden aufgefordert, wieder häufiger ins Office zu kommen. Was sind die Beweggründe dahinter?
Alexis Johann: Es ist eine spannende Entwicklung, die viel über die aktuelle Unsicherheit im Umgang mit hybriden Arbeitsmodellen aussagt. Unternehmen wie Amazon und die Deutsche Bank setzen verstärkt auf Büropräsenz, weil sie vermuten, dass dies Teamgeist und Innovationskraft steigert. CEOs und Top-Manager glauben oft, dass die spontane Interaktion vor Ort, wie etwa der berühmte Austausch an der Kaffeemaschine, die Kreativität fördert und damit entscheidend zum Unternehmenserfolg beiträgt.
Welche weiteren Faktoren spielen bei der Forderung nach mehr Büropräsenz eine Rolle?
Effiziente Flächennutzung und Wettbewerbsfähigkeit sind ebenfalls wichtige Gründe. Unternehmen in teuren Lagen merken, dass ihre Büroflächen oft wenig genutzt werden und sich wirtschaftlich kaum «rechnen». Zusätzlich sorgen sich einige Führungskräfte um die Unternehmenskultur und die Kontrolle über den Arbeitsprozess, da sie glauben, dass die Produktivität leidet, wenn Mitarbeitende nicht regelmässig vor Ort sind. Hier prallen flexible Arbeitsmodelle und traditionelle Überzeugungen aufeinander – ein Dilemma, das Unternehmen nur durch eine auf datenbasierte Strategie und ein besseres Verständnis der Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden lösen können.
Die Argumente für eine stärkere Büropräsenz beruhen häufig auf traditionellen Annahmen. Studien zeigen jedoch, dass Mitarbeitende in hybriden Modellen produktiv und zufrieden sind. Was entgegnen Sie den Führungskräften, die auf Präsenz setzen und damit möglicherweise auf flexible Talente verzichten?
Das ist eine wichtige Frage, die Unternehmen aktuell intensiv beschäftigt. Studien zeigen klar: Flexibilität steigert Produktivität und wirkt positiv auf die Unternehmenskultur. Ein spannendes Experiment des Stanford-Ökonomen Nicholas Bloom mit 1.612 Mitarbeitenden in einem Technologieunternehmen zeigte etwa, dass hybrides Arbeiten die Jobzufriedenheit erhöht und die Kündigungsrate um ein Drittel reduziert – insbesondere bei nicht-leitenden Mitarbeitenden, Frauen und Mitarbeitenden mit langen Pendelstrecken.
«Office-First» kann die Motivation gefährden
Führungskräfte, die starr auf Präsenz bestehen, laufen Gefahr, die Erwartungen moderner Talente zu verfehlen. Hochqualifizierte Mitarbeitende suchen Arbeitsmodelle, die persönliche und berufliche Bedürfnisse vereinen. Ein «Office-First»-Ansatz kann die Motivation und Bindung der besten Leute gefährden. Oft steckt dahinter die Illusion, durch Präsenz Kontrolle und Produktivität zu fördern. Tatsächlich entsteht höhere Leistung aber durch eine Kultur des Vertrauens. Und dafür braucht es klare Ziele und eine ergebnisorientierte Führung – unabhängig vom Arbeitsort. Die Frage ist, ob wir uns von alten Mustern oder von klarer Evidenz leiten lassen.
Viele Mitarbeitende schätzen die Flexibilität des Homeoffice, und Studien zeigen, dass Zwang zur Büropräsenz häufig Widerstände und sogar Kündigungen auslöst. Wie können Unternehmen eine Rückkehr ins Büro gestalten, ohne die Motivation und Bindung ihrer Mitarbeitenden zu gefährden?
Zwang allein ist nicht nachhaltig. Stattdessen sollte das Management transparent kommunizieren und Mitarbeitende einbinden. Wichtig ist, die Gründe für die Rückkehr klar zu erläutern: Warum wird Präsenz gebraucht und wie trägt sie zur Unternehmensstrategie bei? So steigt die Akzeptanz. Anstelle starrer Regeln könnten Unternehmen feste Teamtage oder Fokuszeiten im Büro einführen, um gezielte Zusammenarbeit zu fördern. Auch sollte das Büro ein attraktiverer Ort sein – mit inspirierenden Arbeitsräumen, Teamevents und Entwicklungsmöglichkeiten. Letztlich muss die Büropräsenz sinnvoll und spürbar wertvoll sein, um die Bindung der Mitarbeitenden zu stärken und Talente zu halten.
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Das klingt so einfach. Wo könnte es denn Probleme geben?
Die Herausforderung liegt in der Umsetzung. Eine klare Linie zu entwickeln heisst, dass die Regeln der Zusammenarbeit nicht nur sauber definiert, sondern auch konsequent umgesetzt werden. Ich weiss aus vielen Gesprächen mit unseren Kunden, dass genau das nicht der Fall ist. Manche Mitarbeitende, im Übrigen die Minderheit, kommt trotz anderslautender Vereinbarungen fast gar nicht mehr ins Büro. Teamtage werden „geschwänzt“, andere folgen dem Beispiel, der Teamgeist kollabiert. Rund 20 % der Angestellten, die remote arbeiten können, kommen nicht in dem Umfang ins Büro, wie ihre Arbeitgeber es fordern. Bei Unternehmen, die eine fünftägige Anwesenheit erwarten, liegt die Compliance-Rate nur bei 48 %. Die Führungskräfte sind in der Folge mit der Koordination ihrer Teammitglieder überfordert. Es geht also darum Regeln zu entwickeln, die umsetzbar sind und von Führungskräften und Belegschaft mitgetragen werden.
Das Beste aus beiden Welten
Einige Unternehmen berichten, dass der Produktivitätsgewinn aus dem Homeoffice im Büro nicht vollständig reproduzierbar ist. Wie sollten Firmen vorgehen, wenn sie eine Rückkehr ins Büro wünschen, aber gleichzeitig die Effizienz und Produktivität ihrer Mitarbeitenden nicht gefährden wollen?
Viele Unternehmen haben erkannt, dass das Homeoffice individuelle Produktivität fördert, die im Büro oft nicht erreicht wird. Daher sollten sie das Beste aus beiden Welten integrieren. Ein effektiver Ansatz ist, den Büroalltag gezielt auf Zusammenarbeit und kreative Teamarbeit auszurichten, während konzentrierte Aufgaben flexibel oder remote erledigt werden. Führungskräfte sollten die Bürozeit produktiv gestalten – mit klaren Agenden und Rückzugsräumen. Auch eine gute technische Ausstattung und ergonomische Arbeitsplätze sind wichtig, um die Flexibilität und Effizienz des Homeoffice im Büro zu ermöglichen. Kurz gesagt: Eine flexible, bedarfsorientierte Bürokultur ist entscheidend, um die Vorteile beider Arbeitsmodelle zu nutzen.
Was würden Sie Führungskräften empfehlen, die noch zwischen Homeoffice und Büropräsenz schwanken? Gibt es aus Ihrer Sicht einen «Königsweg» oder Leitlinien, die Unternehmen beachten sollten, um die besten Ergebnisse für beide Seiten zu erzielen?
Ich rate Führungskräften, auf datenbasierte, evidenzgestützte Entscheidungen zu setzen. Es gibt keinen universellen «Königsweg», aber hilfreiche Leitlinien. Der erste Schritt ist eine ehrliche Analyse der Bedürfnisse von Unternehmen und Mitarbeitenden: In welchen Aufgabenbereichen ist Präsenz wirklich nötig, und wo kann Flexibilität sogar Vorteile bringen? Zudem sollten Mitarbeitende aktiv eingebunden werden. Ein offener Dialog und regelmässiges Feedback schaffen Vertrauen und ermöglichen frühzeitige Anpassungen. Schliesslich können Unternehmen mit hybriden Modellen experimentieren, um die Stärken beider Arbeitswelten zu nutzen und nachhaltige Produktivitätsgewinne zu erzielen. Letztendlich ist der ideale Weg der, der sowohl die Ziele des Unternehmens als auch das Wohlbefinden der Mitarbeitenden berücksichtigt. Führungskräfte, die flexibel und adaptiv bleiben und sich an klaren, evidenzbasierten Leitlinien orientieren, werden langfristig erfolgreicher sein.
Trend zur flexiblen Arbeit wird bleiben
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wo sehen Sie die Arbeitswelt in fünf Jahren? Glauben Sie, dass der Trend zur flexiblen Arbeit anhalten wird, oder stehen wir am Anfang einer Rückkehr zur traditionellen Bürowelt?
Wir stehen an einem Wendepunkt, und der Trend zur flexiblen Arbeit wird langfristig bleiben. Unternehmen und Mitarbeitende haben die Vorteile von Flexibilität klar erkannt, sei es in der Work-Life-Balance, der Produktivität oder der Talentgewinnung. In fünf Jahren wird das hybride Modell weiterentwickelt sein, mit einer stärkeren Balance zwischen Büro und Homeoffice. Das klassische Büro wird sich neu definieren, stärker als Ort für Zusammenarbeit und Innovation, weniger als täglicher Arbeitsplatz. Vor allem die nächste Generation fordert Flexibilität und Selbstbestimmung. Unternehmen, die daraufsetzen, werden im Wettbewerb um Talente vorne liegen. Die Zukunft der Arbeit wird hybrid sein, mit einem klaren Fokus auf Flexibilität und Vertrauen.
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