Die unsichtbare Grenze zwischen Mensch und Maschine: Navigieren an der Schnittstelle von KI-Fähigkeiten

Ein verhaltensökonomischer Blick auf die Studie “Navigating the Jagged Technological Frontier”: Wie künstliche Intelligenz die Leistung von hochqualifizierten Fachleuten verbessert und herausfordert.

Die unsichtbare Grenze zwischen Mensch und Maschine: Navigieren an der Schnittstelle von KI-Fähigkeiten
Bild generiert von Adobe Firefly / Prompt: Illustriere das Thema «Künstliche Intelligenz nimmt dir deinen Job weg.»

Die zunehmende Integration künstlicher Intelligenz (KI) in unsere Arbeitswelt geht über eine reine technologische Neuerung hinaus und wirft komplexe Fragen auf: Wie kann KI die Art, wie wir arbeiten und unsere Produktivität steigern? Ein zentrales Konzept in dieser Debatte ist die “technologische Grenze”. Dieser Begriff beschreibt den Übergangsbereich, in dem KI von einer nützlichen Unterstützung zu einer Herausforderung werden kann, weil sie nicht mehr in der Lage ist, menschliche Expertise zu ersetzen oder weil sie fehlerhafte Ergebnisse liefert. Man denke etwa an medizinische Diagnosesysteme, die bei Standardfällen hervorragend funktionieren, aber bei komplexen oder seltenen Erkrankungen an ihre Grenzen stossen.

Richard Baldwin: Der komparative Vorteil der KI 

Im Lichte der Herausforderungen und Möglichkeiten, die die “technologische Grenze” der KI bietet, sind die Worte von Richard Baldwin, einem Wirtschaftsprofessor am Graduate Institute of International and Development Studies in Genf, besonders aufschlussreich: “Your job won’t be taken by AI, but it will be taken by someone who uses AI.” Dieses Zitat unterstreicht die komplementäre Rolle, die KI im Berufsleben spielen kann und führt uns zu einem weiteren wichtigen Aspekt: Der Verhaltensökonomie, die menschliches Verhalten und Entscheidungen im Kontext der KI untersucht. Hier zeigt sich die Relevanz für Unternehmen: Wie können sie die Vorteile der KI nutzen und gleichzeitig die Risiken minimieren, etwa, dass Mitarbeiter der KI blind vertrauen und ihre kritische Auseinandersetzung verlieren? Die Verhaltensökonomie bietet hier wertvolle Ansätze für das Design der Mensch-Maschine-Interaktion.

Eine kürzlich erschienene Studie mit dem Titel “Navigating the Jagged Technological Frontier: Field Experimental Evidence of the Effects of AI on Knowledge Worker Productivity and Quality” liefert einige sehr spannende Antworten. Verfasst von einem interdisziplinären Team unter der Leitung von Ethan Mollick, Professor an der Wharton Business School, legt die Studie eindrucksvolle Ergebnisse vor, die weit über den akademischen Diskurs hinausreichen.

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Studienmethodik: Ein Experiment im realen Arbeitsumfeld 

Das Herzstück der Studie ist ein umfassendes Experiment mit Beratern der Boston Consulting Group (BCG). Die Wissenschaftler nutzten GPT-4, eine der fortschrittlichsten KI-Modelle zum Zeitpunkt des Experiments, um die Auswirkungen der KI-Integration auf die Produktivität und Qualität der Arbeit zu untersuchen. Die Studie war in zwei Hauptphasen unterteilt: Aufgaben “innerhalb der technologischen Grenze” und Aufgaben “ausserhalb der technologischen Grenze”. Während die KI in der ersten Phase problemlos mit den menschlichen Teilnehmern mithalten konnte, zeigten sich in der zweiten Phase deutliche Grenzen. Durch den Vergleich der Leistung in beiden Phasen konnten die Forscher nicht nur die Fähigkeiten der KI, sondern auch die potenziellen Fallstricke der KI-Integration in komplexen Arbeitsumgebungen analysieren.

Interessant für unsere Fragestellung ist, dass die Studie auch die unterschiedlichen Herangehensweisen der Menschen beim Umgang mit KI untersuchte, wobei zwei Hauptstrategien identifiziert wurden: Die Forscher nennen es das “Zentaur-Verhalten” und das “Cyborg-Verhalten”.

Die Ergebnisse: Ein doppeltes Schwert der KI-Effekte 

Die Studie zeigt, dass die KI die menschliche Leistung in Aufgaben innerhalb ihrer technologischen Grenze signifikant steigerte. Die Geschwindigkeit der Aufgabenerfüllung stieg um mehr als 25 Prozent, die von Menschen bewertete Leistung um mehr als 40 Prozent und die Aufgabenabwicklung um mehr als 12 Prozent. Interessanterweise profitierten vor allem die unterdurchschnittlich leistenden Teilnehmer von der KI, was darauf hindeutet, dass KI Leistungsunterschiede ausgleichen kann. Jedoch waren die Ergebnisse in Aufgaben ausserhalb der technologischen Grenze weniger ermutigend. Die KI führte zu einer signifikanten Abnahme der Leistung, da die Teilnehmer dazu neigten, den von der KI generierten Informationen blind zu vertrauen. Dies unterstreicht die Bedeutung der Expertenbewertung und des kritischen Denkens im Umgang mit KI. Ethan Mollik und Fabrizio Dell’Acqua beschreiben das Risiko der Anwendung von AI mit dem “Einschlafen am Steuer” im Autoverkehr: “When the AI is very good, humans have no reason to work hard and pay attention. They let the AI take over, instead of using it as a tool. He called this ‘falling asleep at the wheel,’ and it can hurt human learning, skill development, and productivity.”

Aus verhaltensökonomischer Sicht zeigt diese Metapher des “Einschlafens am Steuer”, dass eine zu hohe Abhängigkeit von KI kontraproduktiv sein kann. Es unterstreicht die Bedeutung der bewussten Integration von KI in menschliche Arbeitsprozesse und die Notwendigkeit, durch Behavioral Design der Mensch-Maschine-Interaktionen, nicht nur menschliche Expertise und das kritische Denken zu wahren, sondern damit auch die produktive Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine langfristig zu ermöglichen.

Die Strategien: Zentaur und Cyborg 

Ein weiteres Kernstück der Studie ist die Untersuchung der Strategien, die Menschen anwenden, wenn sie mit KI zusammenarbeiten. Zwei Hauptstrategien wurden identifiziert: das Zentaur-Verhalten und das Cyborg-Verhalten. Das Zentaur-Verhalten ist eine Strategie, bei der Menschen und KI jeweils Aufgaben übernehmen, die ihren Stärken entsprechen. Die Teilnehmer, die diese Strategie anwendeten, konnten erfolgreich zwischen menschlichen und KI-Aufgaben wechseln und die Verantwortung effizient aufteilen. Diese Strategie ist besonders effektiv für Aufgaben innerhalb der technologischen Grenze der KI. Das Cyborg-Verhalten geht noch einen Schritt weiter. Hier werden menschliche und KI-Fähigkeiten auf granularer Ebene verflochten, oft in Echtzeit. Die Studie zeigt, dass diese Strategie besonders effektiv sein kann, wenn es darum geht, die Grenzen der KI auszureizen und in Aufgaben ausserhalb der technologischen Grenze erfolgreich zu sein. Luca Geisseler, CEO und Executive Behavioral Designer von FehrAdvice: “In einer immer komplexer werdenden Arbeitswelt ist ein effizientes Design der Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.”

Das Zitat von Luca hebt die Bedeutung eines effizienten Designs der Aufgabenteilung zwischen Mensch und KI hervor. Während ein gutes Behavioral Design die Bereitschaft zur Zusammenarbeit fördern kann, ist die grundlegende Bereitschaft zur Anpassung und zum Umgang mit KI im Unternehmen entscheidend und sollte ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur sein. Darüber hinaus muss die Organisation fähig sein zu lernen und zu experimentieren, ein Punkt, den Prof. Ernst Fehr seit Jahren betont, wenn er “Experimentierfähigkeit” als die wichtigste Management-Ressource des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Im Kontext der KI wird diese Fähigkeit noch wichtiger. Organisationen müssen in der Lage sein, sich kontinuierlich anzupassen und aus den Interaktionen zwischen Mensch und KI zu lernen, um wirklich erfolgreich zu sein.

Diskussion und Implikationen 

Die Studie von Ethan Mollik und seinem interdisziplinären Team liefert wertvolle Erkenntnisse für Organisationen, die KI in komplexe Arbeitsabläufe integrieren möchten. Sie betont, dass die Integration von KI kein Allheilmittel ist, sondern dass sie sorgfältig geplant und implementiert werden muss, um die Vorteile voll auszuschöpfen. Die Forschungsergebnisse unterstreichen auch die Bedeutung der Schulung und des bewussten Einsatzes von KI. Nur durch das Verständnis der technologischen Grenzen und die Anwendung effektiver Strategien kann eine erfolgreiche Integration erreicht werden. Die Erkenntnisse sind nicht nur für Organisationen, sondern auch für politische Entscheidungsträger relevant, die Richtlinien für den verantwortungsvollen Einsatz von KI entwickeln.

Fazit 

Die Studie “Navigieren an einer flexiblen technologischen Grenze” leistet einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Rolle von KI in der modernen Arbeitswelt. Sie zeigt sowohl das Potenzial als auch die Grenzen der KI auf und bietet praktische Anleitungen für die effektive Integration von KI in Organisationen. Die Forschung von Ethan Mollik und seinem Team bietet eine fundierte Grundlage für zukünftige Studien und praktische Anwendungen.


Referenzen: Dell’Acqua, F., McFowland III, E., Mollick, E., Lifshitz-Assaf, H., Kellogg, K. C., Rajendran, S., Krayer, L., Candelon, F., & Lakhani, K. R. (2023). Navigating the Jagged Technological Frontier: Field Experimental Evidence of the Effects of AI on Knowledge Worker Productivity and Quality. Working Paper.

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