Das Dreisäulen-Pensionssystem der Schweiz gilt international als vorbildlich, denn soziale Härtefälle werden durch das 1972 in der Bundesverfassung verankerte Konzept deutlich abgefedert. Trotzdem verschlingen die steigende Lebenserwartung und mehr Pensionierungen immer grössere finanzielle Ressourcen, was die ersten beiden Säulen – staatliche und betriebliche Vorsorge – verstärkt ins Wanken bringt. Der Bundesrat stellt nun eine Grossreform in Aussicht, die viele Aspekte umfassen soll: Etwa ein weiteres Arbeitsjahr für Frauen, Abschläge bei frühzeitigem Austritt aus der Arbeitswelt, und gleichzeitig Zuschläge für jene, die bis ins hohe Alter erwerbstätig bleiben wollen.
Insgesamt soll das jetzige Rentenniveau gehalten werden, indem die ersten beiden Säulen besser aufeinander abgestimmt werden. Genauere Details sind für Sommer 2013 versprochen. Und die Zeit drängt, ansonsten fehlt allein der AHV um 2030 jährlich 8,9 Milliarden Franken.
Zudem gilt: Zur besseren Absicherung seines Lebensabends sollte man sich nicht auf die ersten zwei Säulen allein verlassen, sondern auch an die private Vorsorge denken. Allerdings fällt vielen das Sparen dafür aus diversen Gründen schwer.
Es sind nicht nur die aktuell wirtschaftlich unsicheren Zeiten oder die niedrigen Zinsen – vielen fehlt es einfach an Geduld. Ein neues Auto, das neue Smartphone oder die Anzahlung für das Eigenheim scheinen dringlicher näher und weniger abstrakt als das Leben nach der Berufstätigkeit. Das reale Ergebnis einer jahrzehntelang laufenden Altersvorsorge ist eben sehr weit entfernt und schwer zu beziffern.
Überwindung innerer Widerstände
Unternehmen können hier helfen und ihren Mitarbeitern bei der Überwindung innerer Widerstände gegen das Sparen helfen. Wie wäre es zum Beispiel damit, dass ein Teil jeder Lohnerhöhung automatisch in die Vorsorge geht, vielleicht sogar als Opt-out Lösung gestaltet, bei sich der Mitarbeiter bewusst gegen diese Unterstützung entscheiden muss?
Dass solche Ansätze in der Praxis funktionieren, zeigt das Experiment der Verhaltensökonomen Richard Thaler und Shlomo Benartzi. Sie tüftelten das 4-Stufen-Programm „Save More Tomorrow“ (SMarT) aus, um Arbeitnehmern auf Umwegen das Investieren in eine private Altersvorsorge schmackhaft zu machen. Die Vorgehensweise ist folgende:
1) Eine Kalkulation soll zuerst den Betrag klären, den man fürs Alter regelmässig zurücklegen will. Diese Entscheidung hat noch keine sofortige Wirkung.
2) Der Sparplan tritt in Kraft, sobald der Arbeitnehmer zustimmt, bei der nächsten Gehaltserhöhung einen kleinen Teil parallel in die Altersvorsorge zu investieren, zum Beispiel zwei Prozent. Diese Vorgehensweise tut nicht besonders weh, denn die betreffende Person kann auf ihrem Gehaltskonto immer noch einen Zuwachs verfolgen, während gleichzeitig die Pensionsvorsorge beginnt.
3) Der Betreffende stimmt zu, seine Beitragsraten bei jeder Gehaltserhöhung zu steigern, bis eine zuvor vereinbarte Maximalhöhe erreicht worden ist.
4) Es besteht jederzeit die Möglichkeit, aus dem Ansparplan auszusteigen, um dem Arbeitnehmer das Programm angenehmer zu gestalten. Dann arbeitet aber bereits die Tendenz des Menschen zum Status Quo zu ihren Gunsten: Sie macht – das zeigen viele Experimente – den Ausstieg aus dem Vorsorgeplan eher unwahrscheinlich.
Erfolgreicher Praxistest
Das Szenario wurde in einer mittelständischen Firma getestet, wo die 315 Arbeitsnehmer eine durchschnittlich niedrige Ansparrate von 4,4 Prozent ihres Einkommens aufwiesen. Sie wurden angehalten, die Quote auf 5 Proznet zu erhöhen. Jene, die sich das nach eigener Aussage nicht leisten konnten, bot man die Teilnahme am SMarT-Programm an. 162 Arbeitnehmer willigten ein (deren durchschnittliche Ansparungsrate belief sich zu diesem Zeitpunkt sogar auf nur 3,5 Prozent). Und das Resultat war erstaunlich: Nach drei Gehaltserhöhungen konnten die SMarT-Teilnehmer ihre Sparquote auf 11,6 Prozent steigern.
Mittlerweile wird SMarT von mehr als der Hälfte der grossen Pensionspläne in den USA und einer immer grösseren Anzahl in Grossbritannien und Australien angeboten, wie auf der Website von Shlomo Benartzi nachzulesen ist. Ausserdem wurde SMarT in den Pension Protection Act aus dem Jahre 2006 aufgenommen. Es ist ein gelungenes Beispiel für Choice Architecture, die die Bequemlichkeit eines Individuums zu dessen Vorteil ausnutzen kann.
Bleibt die Frage, ob die Ergebnisse dieses Programms auch für die Schweiz gültig wären? Trotz grundlegend anderer Organisation des Vorsorgesystems lautet die Antwort: ja. Denn die Verhaltensmuster, die es sich zu Nutze macht, sind universell und lassen sich in Experimenten auch hierzulande nachweisen.
Richard Thaler and Shlomo Benartzi, “Save More Tomorrow: Using Behavioral Economics to Increase Employee Savings”, Journal of Political Economy 112(2004): S164-S187.
Dieser Artikel erschien auch im Publiblog “Das Geld und ich”
Foto: Little Dorrit, The pensioner’s entertainment, by Hablot K. Browne, More …