Ernst Fehr und Markus Hengstschläger im Interview: Strategien gegen die globale Unsicherheit

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In einer Zeit globaler Krisen analysieren Genetiker Markus Hengstschläger und Ökonom Ernst Fehr im Interview mit der „Presse am Sonntag“ die Reaktionen der Menschen auf Unsicherheit. Sie erklären, wie evolutionäre Muster unsere Wahrnehmung beeinflussen und betonen die Wichtigkeit von Kooperation und individuellen Beiträgen zur Bewältigung dieser Herausforderungen.

Wir befinden uns in einer Zeit beispielloser Herausforderungen: Kriege toben in Europa und im Nahen Osten, Pandemien offenbaren die Verwundbarkeit der Menschheit, und die Klimakrise bedroht die menschliche Existenz. Wie reagieren Menschen auf solche Phasen der Unsicherheit, was motiviert sie, und wie beeinflussen diese Krisen unser Verhalten? Diese Fragen erörterten kürzlich der Genetiker Markus Hengstschläger und der Ökonom Ernst Fehr, Mitglied des Verwaltungsrats der FehrAdvice & Partners AG, in einem fesselnden Gespräch in der „Presse am Sonntag“. Ihre Diskussion tauchte tief in die menschliche Psyche ein und beleuchtete die gegenwärtigen Herausforderungen aus wissenschaftlicher und ökonomischer Sicht.

Warum Investitionen in unsicheren Zeiten leiden

Markus Hengstschläger ist überzeugt, dass der Homo sapiens schon immer mit großen Herausforderungen konfrontiert war. „Wir sagen oft: Früher war es besser“, erklärte Hengstschläger, „aber wenn man genauer hinschaut, erkennt man, wie viel besser vieles geworden ist, etwa in der Bildung, der Medizin oder bei der Bekämpfung von Armut.“ Aber die aktuelle Situation bleibt ökonomisch nicht ohne Folgen. Ernst Fehr betont, dass verhaltensökonomische Studien zeigen, dass die Risikobereitschaft der Menschen bei steigender Unsicherheit abnimmt. Dies habe sowohl Vor- als auch Nachteile. Ein Nachteil sei, dass die Investitionsbereitschaft von Unternehmen darunter leide, da Investieren immer auch Risiken mit sich bringe. Fehr: „Wir haben in unseren Experimenten gezeigt, dass Menschen, die einer höheren Hintergrundunsicherheit ausgesetzt sind, auf eine irrationale Art und Weise weniger investieren, obwohl die Hintergrundunsicherheit die Investitionserträge nicht beeinflusste.“

Schaut man langfristiger, hat man eigentlich Grund zum Optimismus in praktisch allen Dimensionen des Lebens“

Von Säbelzahntigern zu Flugangst: Alte Ängste beeinflussen und noch heute

Ursache für den Negativity Bias des Menschen sind uralte Verzerrungen. Hengstschläger erklärt: „Der Mensch war es gewohnt, gefährliche, negative Situationen zu priorisieren. Das hat unser Überleben in der Evolution gesichert.“ Auch heute noch reagiere man stark auf negative Reize, obwohl es keine Säbelzahntiger mehr gibt. „Ein wackeliges Flugzeug versetzt manche in Todesangst, obwohl Fliegen die sicherste Fortbewegungsart ist“, fügt er hinzu. Ein weiterer Bias ist der Availability Bias: „Was ich mir besser vorstellen kann oder wofür ich ein Beispiel kenne, halte ich für häufiger.“ Hengstschläger betont die Notwendigkeit, Abstand zu gewinnen und Dinge logischer zu betrachten. Ernst Fehr ergänzt, dass Menschen oft in ihrem Kontext gefangen seien und nur das Unmittelbare wahrnähmen. „Schaut man langfristiger, hat man eigentlich Grund zum Optimismus in praktisch allen Dimensionen des Lebens“, sagt Fehr und nennt Beispiele wie Lebenserwartung, Gesundheit und Einkommen. Dies gelte nicht nur für junge Leute, sondern auch für Ältere, die oft nur ihr nahes Umfeld und medial gehypte Themen wahrnähmen.

Klimakrise: Kooperation ist der Schlüssel

Bezüglich der Klimakrise sind sich beide Experten im Interview mit der „Presse am Sonntag“ einig, dass gehandelt werden muss. Fehr: „Die große Herausforderung ist aber, politische Mehrheiten zu schmieden, welche die richtigen Schritte setzen können. Die Kunst der Politik besteht darin, eine Koalition der Gutwilligen zu schmieden. Und dazu bedarf es des rationalen Diskurses, vielleicht angereichert mit den richtigen emotionalen Elementen. Man muss, wenn man die Menschen ansprechen will, das Thema so aufbereiten, dass es verstanden wird. Das ist die hohe Kunst der Politik.“ Hengstschläger hob im Interview hervor, dass der Mensch grundsätzlich ein kooperatives Wesen sei. „Survival of the fittest war in der Evolution stetig mit Kooperation verbunden“, so Hengstschläger. Er betont, dass die globale Zusammenarbeit entscheidend sei, da der Klimawandel ein komplexes, multifaktorielles Problem darstelle.

Wie Einzelne die Welt verändern können

Im Interview erörtern die Experten abschließend, wie man Einzelne motivieren kann, im Sinne des Kollektivs zu handeln. Hengstschläger: „Wir müssen immer wieder klarmachen, dass jede und jeder Einzelne einen enormen Beitrag leisten kann.“ Er warnt vor blauäugigem Optimismus, betont jedoch, dass eingefleischter Pessimismus ebenfalls nicht hilfreich sei. „Wir brauchen Possibilisten: Menschen, die sagen, es wird nicht einfach – aber es ist möglich, wenn jede und jeder einen Beitrag leistet“, so Hengstschläger. Fehr stellt konkrete Lösungsansätze vor. Seine Firma, die FehrAdvice&Partners AG, habe Werkzeuge entwickelt, um die Kooperation zu fördern. Fehr: „Für das Klimaproblem bedeutet das zum Beispiel, dass eine CO2-Abgabe so ausgestaltet werden muss, dass ärmere Haushalte netto weniger belastet werden.“ Er unterstreicht die Notwendigkeit, die Verteilungswirkungen von Maßnahmen zu berücksichtigen, um die notwendige gesellschaftliche Kooperation zu erreichen. Fehr: „Darauf nicht zu achten ist ein großer Fehler, der bei vielen Umweltmaßnahmen leider passiert.“

Das spannende Interview mit dem Genetiker Markus Hengstschläger und dem Ökonomen Ernst Fehr in der „Presse am Sonntag“ finden Sie hier: https://www.diepresse.com/18589813/ein-genetiker-und-ein-oekonom-im-zwiegespraech-mut-ohne-respekt-vor-einer-situation-ist-dummheit