Bildung ist das wichtigste Investment in die Zukunft unserer Gesellschaft

Bei einem Fachgespräch im österreichischen Parlament auf Einladung der Bundesratspräsidentin Christine Schwarz-Fuchs habe ich über die Zukunft von Wirtschaft und Arbeit diskutiert. Eines ist klar: Wenn wir die Zukunft gestalten wollen, müssen wir jetzt mit der Ausbildung unserer Kinder beginnen.

Bildung ist das wichtigste Investment in die Zukunft unserer Gesellschaft
Diskussion mit dem Publikum, am Expert:innenpanel von links: Vize-Generalsekretärin der Industriellenvereinigung Claudia Mischensky, Verhaltensökonom Gerhard Fehr, Moderatorin Julia Ortner

Der Arbeitskräftemangel in Österreich, aber eigentlich in ganz Europa, ist zum großen Zukunftsthema der Politik geworden. Kein Wunder, denn die Nachrichten sind alarmierend. Auch die Statistik zeigt, dass der Arbeitsmarkt im Umbruch ist und die Demografie die aktuelle Situation verschärft: Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer gehen in Pension und die nachfolgenden Jahrgänge sind deutlich geburtenschwächer. Laut Statistik Austria schrumpft der Anteil der Menschen im Haupterwerbsalter, also jener zwischen 20 und 65 Jahren, an der Gesamtbevölkerung bis 2040 von 61 auf 55 Prozent. Der Anteil der über 65-Jährigen steigt dafür von 20 auf 26 Prozent. Ab 2024 gehen zwar auch die Frauen erst ab 65 in Pension, aber sie können den Arbeitskräfteschwund nur teilweise kompensieren. In den letzten Jahren brachte zwar die EU-Osterweiterung Österreich eine Schwemme an jungen, qualifizierten Arbeitskräften, aber auch hier versiegt die Quelle, da der Arbeitskräftebedarf in den Herkunftsländern ebenfalls steigt. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Österreich sind heute nicht mehr zu übersehen.

272.000 Stellen können nicht besetzt werden

Laut einer aktuellen Umfrage des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) wurden im März und April 2022 knapp 4.000 Unternehmen zu diesem Thema befragt. Und das Ergebnis bereitet Sorgen: Fast drei Viertel der befragten Betriebe sind sehr stark (43,8 Prozent) oder eher stark (29,1 Prozent) von einem Mangel an Fachkräften betroffen. Gar nicht betroffen sind nur 16,1 Prozent. Besonders hart trifft es die Tourismus- und Freizeitwirtschaft. Hier sind mehr als 80 Prozent der Betriebe von einem Fachkräftemangel betroffen. Dahinter folgen Transport und Verkehr sowie Gewerbe und Handwerk. Beachtlich ist, dass 71 Prozent der befragten Firmen offene Stellen haben. Vor der Pandemie waren das nur bei 58,6 Prozent der befragten Unternehmen der Fall. Laut WKÖ-Hochrechnung können derzeit 272.000 Stellen nicht besetzt werden, 2020 seien es nur 100.000 gewesen.

Behavioral Economics News von Gerhard Fehr

Abonniere meinen #Experimentability-Newsletter!

Mit FehrAdvice beantworten wir Fragen für Unternehmen, Institutionen und Politik, die sich andere gar nicht stellen. Ich bin der Überzeugung, dass vieles von dem Wissen, das wir bei unserer Mission ansammeln, eine so grosse Quelle der Inspiration ist, dass ich es teilen möchte.

DABEI SEIN

Administration und Institutionen gefordert

Natürlich wird derzeit viel über den Fachkräftemangel moniert, aber gleichzeitig bleiben die Institutionen und auch die Organisationen, die hier einen wesentlichen Beitrag zu Linderung dieses Problems beitragen könnten, hinter den Möglichkeiten. Die Politik schafft zwar die Rahmenbedingungen, aber nicht zuletzt müssen die Administration und die Vorfeldorganisationen, wie etwa die Arbeiterkammer und die Wirtschaftskammer eine gemeinsame Vision und einen Plan entwickeln, wie sich diese Probleme für den Arbeitsmarkt lösen lassen. Das Verhältnis zwischen Administration, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände ist aber noch zu sehr historisch belastet und von einem Arbeitsmarkt geprägt, in dem sich Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die Verwaltung kritisch gegenüberstanden, da in der Vergangenheit Arbeitsplätze Mangelware waren und qualifizierte Arbeitskräfte im Überfluss zur Verfügung standen. Doch heute ist es genau umgekehrt: Es gibt in Österreich und in vielen anderen Ländern Europas zu wenige qualifizierte Arbeitskräfte für die vielen offenen Stellen. Die Folge: Die Betriebe werden in ihrem Wachstum gebremst. Unbeachtet bleibt derzeit noch, dass damit auch der gesellschaftliche Wohlstand schleichend sinkt. Daher müssen alle Institutionen und Vorfeldorganisationen gemeinsame Visionen entwickeln, wie sie diesem Problem entgegenwirken wollen.

Der Weg zurück in eine Zukunftsgesellschaft

Wachstum ist nicht nur durch Innovation zu schaffen. Eine Schlüsselresource für das zukünftige Wachstum der europäischen Volkswirtschaften ist der Bereich Bildung. Hier liegen riesige Potenziale, die bis heute viel zu wenig genutzt wurden. Der Anteil der ab 15-jährigen Frauen, die lediglich die Pflichtschule absolviert haben, beträgt in Österreich noch immer 33,9 und bei den Männern 22,3 Prozent. Aus einer aktuellen Studie des AMS geht hervor, dass der Bildungsabschluss eine entscheidende Rolle bei der Arbeitslosigkeit spielt. Pflichtschulabsolventen ohne Lehre sind jene Gruppe, die am öftesten und längsten von Arbeitslosigkeit betroffen ist. Unter jenen, die 2008/09 die Pflichtschule abgeschlossen haben, aber keine Lehre machten, waren eineinhalb Jahre später 48,7 Prozent arbeitslos gemeldet. Beim 2017/18er-Jahrgang traf dies auf 64,3 Prozent der Absolventen zu. Bei allen anderen Absolventen hatte sich die Lage hingegen gebessert. Mit einer Lehre hatte sich das Risiko, 18 Monate nach Lehrabschluss ohne Arbeit zu sein, im beobachteten Zeitraum von 11,2 auf 9,7 Prozent reduziert. Noch besser war die Situation für Akademiker. Wer 2017/18 seinen Hochschulabschluss machte, war nur in 3,0 Prozent der Fälle arbeitslos, nach 3,8 Prozent zehn Jahre davor. In Summe handelt es sich um über eine Millionen Menschen, die mit einer besseren Ausbildung nicht nur mehr Einkommen, Sicherheit und Stabilität in ihrem Leben hätten, sondern auch einen wichtigen Beitrag für Wachstum und Wohlstand in unserer Gesellschaft leisten könnten.

Frühkindliche Bildung ist entscheidend

Nobelpreisträger James Heckman hat in vielen seiner Forschungsarbeiten aufgezeigt, dass ein frühes Investment in die Bildung der Kinder sehr hohe positive Returns auf den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand begründet. Gleichzeitig zeigt sich, dass gerade in der frühkindlichen Förderung in Österreich die Angebote in den Bundesländern große Unterschiede aufweisen. Denn mancherorts wird die Kinderbetreuung zu gerne als ein Dienst an den Familien gesehen und zu wenig als echte Chance für uns als Gesellschaft. Ein Schulterschluss der Zivilgesellschaft mit der Politik und Administration ist seit Jahren notwendig, sich der erheblichen Bedeutung frühkindliche Förderung als Investment in die Zukunft des Wirtschaftsstandortes nicht nur bewusst zu sein, sondern gezielte Massnahmen und Aktivitäten zu setzen. Solange diese Massnahmen jedoch als Almosen für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gesehen werden, dürfte sich so schnell nichts verändern.