Hypes in Wirtschaft und Gesellschaft haben meist drei Dinge gemeinsam: Jeder hat eine Meinung dazu, aber keine fundierte Ahnung davon, alles war schon einmal da und jeder fragt sich, ob er vom Hype profitieren kann oder Angst davor haben muss.
Das Thema „Künstliche Intelligenz“ weist alle drei Merkmale auf:
Jeder hat eine Meinung, aber wenige haben tatsächlich Ahnung
Für viele, die davon reden, ist KI dasselbe wie Maschinelles Lernen (ML). Viele andere verstehen darunter zwei eigenständige, sich parallel entwickelnde Technologien. Tatsächlich ist maschinelles Lernen – ebenso wie Smart Robotics, Spracherkennung oder virtuelle Agenten – nur ein Teilbereich der KI.
Der frischgebackene Österreicher des Jahres und Leiter des Instituts für Machine Learning der Linzer Johannes-Kepler-Universität, Sepp Hochreiter, umschreibt KI als „grosses und breites Feld, in dem Maschinen über kognitive Fähigkeiten, die normalerweise nur Menschen haben, verfügen“.
Vereinfacht ausgedrückt werden dabei riesige Datenmengen mithilfe von Algorithmen analysiert, um Muster und Gesetzmässigkeiten zu erkennen und in weiterer Folge Lösungen für Probleme zu finden. „Alle Erfolge der letzten Zeit, wie etwa Bild- und Sprachverarbeitung oder die Fortschritte bei selbst fahrenden Autos fanden im ML-Teilbereich Deep Learning (Dl) statt“, so Hochreiter.
Von „tiefem“ Lernen ist deshalb die Rede, weil hier die Systeme – inspiriert von der Struktur des menschlichen Gehirns – grosse und vielschichtige Netzwerke von künstlichen Neuronen nutzen. Sie können nicht nur selbstständig Strukturen erkennen und auswerten, sondern auch dazu lernen.
Gekommen, um zu bleiben – oder entsteht noch einmal ein „KI-Winter“?
Die aktuelle Euphorie rund um KI ist grundsätzlich nichts Neues.
In der Vergangenheit folgten auf Phasen des ungebremsten Optimismus, die durch einschlägige Innovationen ausgelöst wurden, mehr oder weniger lange Durstrecken, genannt „KI-Winter“. Der erste Hype entstand in den 50er und 60er Jahren. Damals kündigte etwa der US-Sozialwissenschafter Herbert Simon an, dass in nur zehn Jahren ein Computer Schachweltmeister werden könne. Tatsächlich gelang es dem von IBM entwickelten Programm „Deep Blue“ erst 1997, den damaligen Schachweltmeister Garri Kasparow zu schlagen. 1965 liess Simon mit einer weiteren Ankündigung, die sich letztlich nicht erfüllte, aufhorchen: „Maschinen werden innerhalb von 20 Jahren alles können, was Menschen auch können.“
Als „Meilenstein der KI“ wurde in den späten 60er Jahren das vom deutschamerikanischen Informatiker Joseph Weizenbaum entwickelte Programm ELIZA gefeiert. Es war in der Lage, das Gespräch eines Psychotherapeuten mit einem Patienten zu simulieren. Die Software hatte zwar auf alles Antworten parat, mit Empathie oder Verständnis hatten sie allerdings nichts zu tun.
Das in den frühen 70er Jahren an der Standford University entwickelte Expertensystem MYCIN sollte wiederum Diagnose- und Therapieentscheidungen bei Blutinfektionskrankheiten und Meningitis unterstützen. Zwar wurde dem System durch eine Evaluation attestiert, so gute Entscheidungen treffen zu können wie menschliche Fachexperten, als man es aber mit Cholera-Daten fütterte, gab es Diagnose- und Therapievorschläge für eine Blutinfektionskrankheit. Ein kleines Detail am Rande: Bei Cholera handelt es sich um eine Darmerkrankung.
Die Bilanz der ersten KI-Jahrzehnte fiel also eher ernüchternd aus. Zwar habe man Erstaunliches erreicht, von KI könne jedoch noch lange nicht die Rede sein, so der Grundtenor unter Experten.
Maschinen lernen schneller als Menschen, aber …
Auch wenn dieser Tage – nicht zuletzt aufgrund der medialen Berichterstattung – der Glaube, dass intelligente Maschinen sehr bald nahezu alles können, weit verbreitet zu sein scheint, ist das weiterhin keineswegs der Fall. In der allgemeinen KI-Euphorie wird gerne eines vergessen, was auch der britische KI-Forscher Toby Walsh bekräftigt: „Maschinen machen, was wir ihnen sagen.“ Anders ausgedrückt: der Output der Algorithmen ist gänzlich von den Daten abhängig, mit denen sie gefüttert werden. So konnte etwa „Deep Blue“ zwar Garri Kasparow schlagen, wäre der Schachcomputer aber zu einer simplen Partie „Schere, Stein, Papier“ angetreten, hätte er keine Chance gehabt.
Über wirkliche Intelligenz verfügen auch viele KI-Errungenschaften der letzten Jahre bisher nicht. In einer im Vorjahr veröffentlichten Studie ging etwa die Chinese Academy of Sciences der Frage auf den Grund, wie schlau digitale Assistenten wie Siri und Co. sind. Dafür wurde ein selbst entwickelter Intelligenztest eingesetzt. Das Ergebnis: der „intelligenteste“ digitale Assistent, der Google Assistant, kommt punkto „Gehirnschmalz“ gerade mal an ein sechsjähriges Kind heran. Allerdings kamen die Forscher zu einem – auch für die aktuelle KI-Debatte – interessanten Schluss: Maschinen lernen schneller als Menschen.
Bin ich bei den Gewinnern oder Verlierern? Kommt drauf an.
Daraus folgt, wie auch KI-Forscher Walsh einräumt, dass wir Maschinen bauen können und auch schon bauen, die den Menschen in einzelnen Aufgaben überlegen sind – etwa was Umfang und Geschwindigkeit der Datenverarbeitung und Problemlösung betrifft. Schneller als viele glauben, entwickelt sich KI daher zu einem entscheiden Faktor, der auch Ihr Unternehmen dabei unterstützen kann, Umsätze und Gewinne zu steigern, um konkurrenzfähig zu bleiben. Anders als in unserem Alltag, stehen KI-Lösungen in der Geschäftswelt aber noch ganz am Anfang. Laut einer aktuellen Umfrage von McKinsey & Company nutzen gerade mal 3 % der Unternehmen die Technologie in allen Prozessen. 21 % setzen sie in mehreren Bereichen ein und weitere 30 % loten einen möglichen Einsatz noch aus.
Die breiten Anwendungsmöglichkeiten, ebenso wie die Tatsache, dass bedeutende technische Innovationen bislang immer sowohl von einer Produktivitätssteigerung als auch Disruption begleitet wurden, erklären auch die vielen Ängste, die die Debatte um den Einsatz von KI in der Arbeitswelt begleiten. Etliche Studien tragen das ihre dazu bei. Für viel Aufsehen sorgte etwa die 2013 erschienene Studie „The Future of Employment“ der Oxford-Forscher Carl Benedikt Frey und Michael A. Osbourne. Die Hauptaussage: Fast jeder zweite Amerikaner ist in den nächsten 20 Jahren dem hohen Risiko ausgesetzt, durch die Automatisierung und Digitalisierung seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Davon wären nicht weniger als 80 Millionen Menschen betroffen. Bisher ist nichts davon eingetroffen.
McKinsey & Company kommt zu einer anderen Conclusio: demnach werden zwischen 2016 und 2030 bis zu 15 % der weltweiten Arbeitskräfte bzw. 400 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Auf der anderen Seite sollen zwischen 555 und 890 Millionen neue Jobs geschaffen werden. Der Verlust an Arbeitsplätzen könnte also mehr als kompensiert werden. Allerdings halten die Studienautoren fest, dass Millionen von Menschen in den kommenden Jahren ihre Berufe wechseln werden müssen.
Es braucht tiefgreifende Änderungen bei Skills und in der Unternehmenskultur
„KI wird eine Evolution am Arbeitsmarkt einleiten, die – mit der richtigen Vorbereitung – positiv ausfallen wird“, heisst es auch in einer aktuellen Studie von PWC. Neue Jobs würden alte ersetzen. Der Mensch werde weiterhin arbeiten, nur mithilfe von KI-Lösungen weitaus effizienter. Zurückgehen werden vor allem einfache und repetitive Tätigkeiten wie etwa in der industriellen Fertigung oder der Datenverarbeitung. Schwer zu automatisierende Berufe, die mit einem schwer zu prognostizierenden Umfeld verbunden sind, sollen dagegen zunehmen. Dazu zählen unter anderem Manager, Lehrer, Pflegekräfte, technische Fachkräfte sowie Gärtner oder auch Installateure.
Um in der Arbeitswelt der Zukunft erfolgreich unterwegs zu sein, werden jedenfalls andere Skills gefragt sein. Für Experten wird die Nachfrage nach sozialen und emotionalen Skills wie Kommunikationsfähigkeit und Empathie nahezu genauso stark zunehmen wie jene nach fortgeschrittenem technischem Knowhow. KI-versierte Arbeitskräfte werden zwar nicht wissen müssen, wie man einen Code schreibt, sehr wohl aber, wie man den richtigen Algorithmus aussucht, welche Daten dieser benötigt und wie man die Ergebnisse interpretiert. Gleichzeitig setzt der erfolgreiche Einsatz von KI die Kollaboration zwischen kleineren Teams, die frei von hierarchischen Zwängen und Abteilungsdenken sind voraus.
Voraussetzung, um von KI zu profitieren: digitale Unternehmenskultur & Experimente
Was passieren kann, wenn beides fehlt bzw. nicht gelebt wird, zeigen unzählige Beispiele der letzten Jahre. Zu den prominentesten zählt sicherlich Kodak Eastman. Trotz durchaus ambitionierter digitaler Anstrengungen ging der Filmriese 2012 in Konkurs – auch weil das Management stur an den Kerngeschäften Film und Filmentwicklung festgehalten hat. Konkurrent Fuji, lange Zeit mit weitem Abstand die Nummer zwei hinter Kodak, sah sich dagegen rechtzeitig nach Gelegenheiten in den dem Kerngeschäft nahen Geschäftszweigen um und steht heute als erfolgreicher globaler Technologiekonzern da. Dahinter steht eine Kultur, die Agilität, Experimentierfähigkeit, Kreativität, das Teilen von Informationen und Bildungsbereitschaft unterstützt und auch die Rolle von Technologie im Unternehmen festschreibt.
(Digital) Culture eats Strategy for Breakfast
„Wenn wir anfangen, uns zu sehr mit uns selbst zu beschäftigen, anstatt uns auf die Kunden zu konzentrieren, wird das der Anfang vom Ende sein“, sagt zum Beispiel Amazon-Chef Bezos. Genau darum geht es auch im Zeitalter des digitalen Wandels: die Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Um herauszufinden, welches Angebot den grösstmöglichen Nutzen für die Kunden bringt, führt etwa der Onlineriese um die 20.000 Experimente pro Jahr durch.
„Nur Unternehmen, die in der Lage sind, sich über Experimente neues Wissen schnell und unkompliziert anzueignen, werden in der digitalen Welt letztlich auch Erfolg haben“, sagt Gerhard Fehr, Verhaltensökonom und CEO von FehrAdvice & Partners. Nachsatz: „Je mehr das Management eines Unternehmens es versteht, wie wichtig es ist, experimentierfähig zu sein, desto weniger anfällig wird es für Disruption sein.“
Ernst Fehr, Professor an der Universität Zürich und einer der einflussreichsten Ökonomen im deutschsprachigen Raum, beschäftigt sich in seiner wissenschaftlichen Forschung mit Unternehmenskultur: „Die Unternehmenskultur, hat grossen Einfluss auf die Gesamt-Performance eines Unternehmens. Dabei reicht es nicht, sich abstrakte Werte auf die Fahnen zu heften – die Werte müssten in klare und einfache Verhaltensregeln übersetzt werden, die vom Top-Management bis zu den Angestellten geteilt und gelebt werden. In diesem Prozess ist systematisches Feedback fundamental wichtig, da Trittbrettfahrer ansonsten die neuen Verhaltensweisen so lange sabotieren, bis auch die willigen, engagierten Mitarbeiter aufgeben.“
Michael Schrage (Center for Digital Business an der MIT’s Sloan School of Management) und einer der Speaker an der Academy of Behavioral Economics im Jänner 2019 in Zürich, schlägt in die selbe Kerbe: „Wir müssen akzeptieren, dass Künstliche Intelligenz nichts mit dem Aufbau von digitaler Kompetenz zu tun hat, es geht ums Ändern der Kultur. Was mich tatsächlich überrascht und enttäuscht, eigentlich schockiert, ist, dass viele C-Level Manager das rein als Problem sehen, das es zu lösen gilt. Dabei geht es darum, fundamentale Änderungen in den Unternehmenskulturen systematisch anzugehen“.
Mit dem Thema „Künstliche Intelligenz“ und deren Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft unter verhaltensökonomischen Gesichtspunkten widmet sich die renommierte Academy of Behavioral Economics am 30. Jänner 2019 am Gottlieb-Duttweiler-Institut.
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