Führung in der Krise: Mehr Eigenverantwortung – oder mehr Vorschriften?

Ob Corona-Maßnahmen, Klimaschutz oder Unternehmensprojekte: Bei großen Aufgaben ist Kooperationsbereitschaft gefragt. Doch wie erzielt man diese effizienter, mit Eigenverantwortung oder Vorschriften? Verhaltensökonom Ernst Fehr sprach dazu bei der Zürcher Kantonalbank in Wien.

Führung in der Krise: Mehr Eigenverantwortung – oder mehr Vorschriften?
Ernst Fehr, Silvia Richter, Hermann Wonnebauer ©Zürcher Kantonalbank Österreich AG

Dieser Artikel beantwortet die folgenden Fragen:

  • Warum ist weder reine Eigenverantwortung noch reiner staatlicher Zwang der Weg für mehr Kooperation?
  • Warum sollten wir unsere Zeit nicht dafür vergeuden, Egoisten umzustimmen?
  • Wie können wir in vier Schritten die Kooperationsbereitschaft steigern?
  • Wann sind Sanktionen angebracht – und wann helfen finanzielle Anreize besser?

Eigenverantwortung oder Vorschriften: Wie man Kooperationsbereitschaft fördert

Verschiedenste Herausforderungen wie die Bekämpfung der Klimaerwärmung oder die Umsetzung von Anti-Corona-Maßnahmen erfordern die Kooperationsbereitschaft der Menschen. Während manche für Selbstverantwortung plädieren, sehen andere den effizientesten Weg in staatlichen Vorschriften. Der österreichisch-schweizerische Verhaltensökonom Ernst Fehr widmete sich in einem Vortrag auf Einladung der Zürcher Kantonalbank Österreich AG in der Schweizerischen Botschaft in Wien der Frage nach dem richtigen Weg.

Laut Fehr ist einer der Grundpfeiler menschlichen Zusammenlebens, Menschen zu kooperativen Entscheidungen zu bewegen. Eine These um dies zu erreichen lautet, dass dazu kein Eingriff oder Anreiz von außen notwendig ist, weil Menschen eigenverantwortlich agieren – für Fehr eine „liberale Illusion“. Die andere These geht davon aus, dass Menschen nur durch Vorschriften motiviert werden können und Eigenverantwortung keine oder nur eine geringe Rolle spielt – laut Fehr handelt es sich dabei um einen „linken Irrtum“.

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„Nicht Egoisten, sondern Kooperationsbereite umstimmen“

„Gesellschaften sind meistens heterogen. In sogenannten Anreizsituationen gibt es bedingt kooperative Individuen, die etwa 50 Prozent ausmachen, und 30 Prozent Egoisten. Gäbe es nur Egoisten, dann würde Eigenverantwortung keine Rolle spielen und man bräuchte sehr starke staatliche Anreize, um ein Verhalten zu verändern. Da dem nicht so ist, liegt der Fokus auf den bedingt kooperativen Individuen, die es im Interesse der Gesamtgesellschaft zu mobilisieren gilt“, erklärte Fehr.

Als Beispiel nannte Fehr das Tragen von Gesichtsmasken in der Corona-Pandemie. Vor Einführung der Maskenpflicht in der Schweiz befürwortete eine Mehrheit die Maskenpflicht, fast alle Befürworter trugen jedoch paradoxerweise selbst keine Maske. Als die Maskenpflicht beschlossen, aber noch nicht in Kraft getreten war, trug bereits knapp ein Drittel und nach Inkrafttreten die Mehrheit Maske. Innerhalb einer Woche war also die Unterstützung von quasi null auf 100 Prozent gestiegen, so der Verhaltensökonom.

Fehr erklärte dieses Verhalten so, dass „die bedingt kooperativen Menschen zunächst pessimistisch waren und nicht erwarteten, dass die Mehrheit Maske tragen würde. Zudem wollte nicht jeder selbst ein so starkes Statement setzen.“ Als die Pflicht beschlossene Sache war, wandte sich das Blatt, weil sich die Erwartungshaltung und damit auch die Anreizsituation änderte. „Dadurch trugen viele Menschen schon vor Inkrafttreten eine Maske. Spätestens damit war der Meinungsumschwung besiegelt.“

Vier Schritte gegen mangelnde Kooperationsbereitschaft

„Dieses Prinzip ist auf jedes Kooperationsmodell anwendbar, ob es sich um die Klimaerwärmung, die Unterstützung von Vorhaben in Unternehmen durch die Belegschaft oder die Anti-Corona-Maßnahmen handelt“, führte Fehr aus. Ein Kooperationsproblem ließe sich laut ihm durch vier Schritte lösen:

  • Erstens müsse definiert werden, was „sozial richtig“ ist und darauf basierend müsse das „wünschenswerte Verhalten“ klar definiert werden.
  • Zweitens sei ein „vorbildliches Verhalten von Führungspersonen“ entscheidend. Dies trage dazu bei, dass die Erwartungen aller über die Kooperationsbereitschaft erhöht werden.
  • Drittens sei die „Sanktionierung von Trittbrettfahrern, welche die Maßnahmen nicht unterstützen, wichtig“, so Fehr.
  • In Unternehmen komme noch ein vierter Punkt hinzu. Hier seien diese gegenüber Staaten im Vorteil: Die Selektion der richtigen Mitarbeiter, um insgesamt die Kooperationsbereitschaft im Haus zu optimieren.

Wie Sanktionen wirken

Beim Thema Sanktionen berief sich Fehr auf einen Versuch: Die Teilnehmer erhielten demnach Geld, das sie entweder behalten oder in öffentliche Güter investieren konnten. In einer speziellen Versuchsanordnung konnten sie die anderen Teilnehmer durch eine Zahlung sanktionieren, wenn diese in ihren Augen die falsche Entscheidung getroffen haben. Die Folge war laut Fehr eine „enorme Zahlungsbereitschaft“ und ein „Anstieg der Kooperationsbereitschaft in Richtung hundert Prozent“.

Mit Sanktionen müsse nicht unbedingt eine Strafe, sondern könne auch das Vorenthalten von Lob oder anderes Feedback gemeint sein. Feedback ohne finanzielle Anreize oder sonstigen Druck helfe in Unternehmen oft enorm. Bei Anliegen, die für die gesamte Gesellschaft wichtig sind, sei es jedoch zu wenig. Hier seien stärkere Anreize – etwa finanzieller Natur – notwendig, so Fehr.

Beide Extreme (Eigenverantwortung vs. Vorschriften) führen laut dem Verhaltensökonom „nicht zum gewünschten Ziel der Kooperationsbereitschaft“. Eine Kombination beider Welten sei sinnvoll. Der Mobilisierungsgrad der bedingt kooperativen Menschen ist demnach der „wesentliche Erfolgsfaktor“. Dazu „müssen die Erwartungen wirksam gesteuert werden“, so Fehr.