Der US-Autobauer Tesla führt im deutschen Werk in Grünheide einen Anwesenheitsbonus ein, um Abwesenheiten zu reduzieren (Mehr dazu hier im Handelsblatt). Studien zeigen jedoch, dass solche Anreize oft unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben und Abwesenheiten erhöhen können. Unternehmen sollten unbeabsichtigte Nebenwirkungen auf prosoziale Normen und die intrinsische Motivation der Mitarbeiter berücksichtigen und minimieren.
Beim US-Elektroautohersteller Tesla soll es in Zukunft für Angestellte im deutschen Werk in Grünheide einen finanziellen Bonus für Anwesenheit geben. Ein entsprechendes Pilotprojekt für den Produktionsbereich hat das Management auf der Betriebsversammlung im Juli angekündigt. Damit will man die deutlich über dem Industriedurchschnitt liegende krankheitsbedingte Abwesenheit bekämpfen. Das Programm soll zunächst ein Jahr laufen und Angestellte, die besonders selten krank sind, belohnen.
Wer mitmacht, könne über möglichst lange Anwesenheitszyklen „unterschiedliche Stati“ erreichen. An jeden Status sei am Ende des Jahres ein Anwesenheitsbonus geknüpft. Wer den Gold-Status erreicht, bekommt 1000 Euro Prämie. Wer den Goldstatus erreichen will, dürfe nicht mehr als etwa fünf Prozent seiner Arbeitszeit fehlen. Aber was passiert, wenn solche Anreize genau das Gegenteil bewirken? Eine jüngst veröffentlichte Studie der Forscher Jakob Alfitiana, Dirk Sliwka und Timo Vogelsang (“When Bonuses Backfire: Evidence from the Workplace”) von der Universität zu Köln und der Frankfurt School of Finance & Management bringt erstaunliche Erkenntnisse zu Tage: Monetäre Anreize können die Abwesenheitsrate der Mitarbeiter sogar erhöhen.
Verhaltensökonomische Feldstudie offenbart Stolperfallen
In einer umfangreichen Feldstudie, die über ein Jahr hinweg in einer grossen deutschen Einzelhandelskette durchgeführt wurde, untersuchten die Wissenschaftler die Auswirkungen von Anwesenheitsboni auf Lehrlinge in 232 Filialen. Die Lehrlinge wurden in drei Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe erhielt einen finanziellen Bonus für jeden Monat ohne ungeplante Abwesenheit, eine zweite Gruppe erhielt zusätzliche Urlaubstage als Belohnung und eine Kontrollgruppe erhielt keine Anreize. Die Ergebnisse waren überraschend und ernüchternd zugleich. Der monetäre Bonus führte zu einem Anstieg der Abwesenheitsrate um beachtliche 50 Prozent. Dies bedeutet, dass die Lehrlinge im Durchschnitt fünf zusätzliche Tage pro Jahr fehlten. Statt die Anwesenheit zu fördern, normalisierte der finanzielle Anreiz das Fehlen und machte es für die Mitarbeiter akzeptabler. Dieser Effekt war besonders bei den neu eingestellten Lehrlingen ausgeprägt, die sich noch in der Orientierungsphase befanden und besonders empfänglich für die Signale des Arbeitgebers waren.
Mitarbeiter fühlten sich weniger eigenverantwortlich bezüglich der Fehlzeiten
Die grosse Frage, die sich den Wissenschaftlern stellte, war nun, warum der monetäre Bonus eine kontraproduktive Wirkung entfaltete. Die Studie der Forscher Jakob Alfitiana, Dirk Sliwka und Timo Vogelsang bietet eine tiefgehende Analyse der zugrundeliegenden Mechanismen. Zum einen verringerte der Bonus die intrinsischen Kosten des Fehlens, das heisst, die Mitarbeiter fühlten sich weniger eigenverantwortlich und sahen ihre vertragliche Verpflichtung zur Anwesenheit weniger streng. Dies spiegelt eine Veränderung der „prosozialen Normen“ wider – die moralischen Standards, was als richtig oder falsch angesehen wird. Zum anderen könnte der Bonus als Signal interpretiert worden sein, dass das Fehlen keine schwerwiegenden Konsequenzen hat. Wenn der Bonus als die schwerwiegendste Konsequenz des Fehlens wahrgenommen wird, überschattet er möglicherweise andere ernstere Konsequenzen wie die Gefahr einer Kündigung. Dieser Aspekt zeigt, wie wichtig die Wahrnehmung und das Verständnis der Mitarbeiter von arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen sind.
Interessanterweise zeigte der Freizeit-Bonus, der zusätzliche Urlaubstage anstelle von Geld anbot, keinen signifikanten Effekt auf die Abwesenheit. Dies könnte darauf hindeuten, dass materielle Anreize weniger geeignet sind, das Verhalten in einem Arbeitsumfeld zu beeinflussen, in dem prosoziale Normen und intrinsische Motivation eine wichtige Rolle spielen. Die Langzeiteffekte der Studie sind besonders alarmierend. Selbst nach Ende des Experiments blieb die erhöhte Abwesenheitsrate in der Gruppe mit dem monetären Bonus bestehen. Dies deutet darauf hin, dass einmal veränderte prosoziale Normen und Wahrnehmungen schwer rückgängig zu machen sind und langfristige Auswirkungen auf die Unternehmenskultur haben können.
Gestaltung von Anreizsystemen muss sorgfältig durchdacht sein
Was bedeutet das für Unternehmen und Führungskräfte? Anreizsysteme müssen sorgfältig durchdacht sein und die möglichen unbeabsichtigten Nebenwirkungen auf prosoziale Normen und die intrinsische Motivation der Mitarbeiter berücksichtigen und auf ein Minimum reduziert werden. Statt sich ausschliesslich auf monetäre Anreize zu verlassen, sollten Unternehmen eine Unternehmenskultur fördern, die auf Vertrauen und Engagement aufbaut. Die Studie von Alfitiana, Sliwka und Vogelsang zeigt, dass gut gemeinte Anreize oft unvorhergesehene Konsequenzen haben können. Unternehmen, die die langfristigen Auswirkungen ihrer Anreizsysteme verstehen und berücksichtigen, werden besser in der Lage sein, eine engagierte und loyale Belegschaft aufzubauen.