“Politisch nicht sehr korrekt” – Interview mit Ernst Fehr in der WirtschaftsWoche

In der deutschen “Wirtschaftswoche” erschien kürzlich ein Interview mit Ernst Fehr über den Vormarsch der Verhaltensökonomie, die wirtschaftlichen Folgen von Unehrlichkeit – und seine Forschung mit Kindern und Hirnscannern.

Herr Fehr, ein Wirtschaftsmagazin hat Sie “Professor Gutmensch” getauft, andere Blätter nennen Sie “Totengräber des Homo oeconomicus”. Was gefällt Ihnen besser?

Ich mag beides nicht. Der Begriff Gutmensch steht typischerweise für Leute, die auf naive Weise die Welt verbessern wollen. Diese illusorische Weltsicht habe ich nicht. Ich versuche, auf solider empirischer Grundlage zu arbeiten – auf der Suche nach Erkenntnissen, die die Gesellschaft ein kleines Stück weiterbringen. Und was den Homo oeconomicus betrifft: In der Tat zeigen – auch meine – Studien, dass sich die Menschen nicht immer rational und eigennützig verhalten, wie früher gern unterstellt wurde. Man darf daraus aber nicht den Umkehrschluss ziehen, dass rationales und egoistisches Verhalten keine Rolle spielt.

Sie haben jüngst in einer provokanten Rede die Ökonomie als Wissenschaft von der Charakterbildung bezeichnet. Hat Charakter für Sie eine wirtschaftliche Dimension?

Absolut. Es gibt etwa eine Korrelation der durchschnittlichen Geduld der Menschen in Regionen und Staaten und deren Volkseinkommen pro Kopf. Geduldige Menschen sparen mehr und investieren mehr in Human- und Sachkapital. Ein zentraler Wirtschaftsfaktor ist zudem Vertrauenswürdigkeit. Vertrauen – etwa in Geschäftspartner und Institutionen – führt volkswirtschaftlich zu geringerer Regelungsdichte und höherer Flexibilität. Wo Unehrlichkeit verbreitet ist, kommen viele wechselseitig vorteilhafte Tauschakte mangels Vertrauen nicht zustande, die Vertragsgestaltung wird aufwendig und teuer. Wichtig ist auch, was Ökonomen positive Reziprozität nennen: Wenn ein Chef seine Mitarbeiter fair behandelt, reagieren die mit höherer Produktivität. Überwiegt dieses Verhaltens- und Vertrauensmuster in einer Volkswirtschaft, wächst sie stärker als andere.

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