Warum es so schwer ist gegen Missstände in der Unternehmenskultur aufzustehen

#metoo zeigt, dass Opfer erst in der Masse Gehör finden. Einzelpersonen erscheinen die Kosten eines Aufzeigens oft zu hoch, egal, ob man Opfer oder Zeuge ist.

Warum es so schwer ist gegen Missstände in der Unternehmenskultur aufzustehen
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Vor Kurzem wurde bekannt, dass ein Teil des Vorstands von Nike zurückgetreten ist. Eine Gruppe an Mitarbeiterinnen hatte sich zusammengetan und gegen die unerträglichen sexuellen Übergriffe aufbegehrt, die jahrelang die Unternehmenskultur geprägt hatten.

Warum haben sich die Betroffenen nicht sofort gewehrt?

Weil es dabei viel zu verlieren gibt, erklärt die an der Harvard Business School tätige Verhaltensökonomin Francesca Gino – im schlimmsten Fall den Job, im allerschlimmsten den Ruf.

Und warum greifen Umstehende nicht ein, wenn sie dem Vorfall beiwohnen? Auch hier spielt das Abwägen von Kosten eine Rolle: Man hofft, dass die anderen zuerst handeln, oder redet sich ein, ein Einmischen könnte fehl am Platz sein. Bystander Effect nennt man diesen Trugschluss.

Zivilcourage ist anstrengend, aber trotzdem die Lösung – egal, wie einschüchternd der Aggressor wirkt. Im Rahmen einer Studie wurden die Probanden einer Gruppensituation Zeuge, wie eine Frau sexuell belästigt wurde. Dass es sich um Schauspieler handelte, wurde ihnen nicht gesagt. Bei einem männlichen Aggressor zarter Statur griff die Hälfte der Teilnehmenden ein, bei einer Person mit brutalerem Erscheinungsbild waren es nur noch sechs Prozent – die Kosten, beispielswiese eine körperliche Attacke, waren den meisten zu hoch.

Jeder war schon mal das Opfer

Dabei ist bewiesen, dass ein Engagement für Schwächere ansteckend wirkt, vor allem bei denen, die selbst einem das Opfer waren:

When we do speak up when others are being treated unfairly or hurt, we not only demonstrate courage, we also influence others to follow suit. Bravery — whether we’re calling out harassment, unfair processes, gender or racial bias, or discrimination — can motivate observers to overcome their fear of repercussions. And the motivation is particularly strong when the observers are people who were themselves victims.

Dieser Effekt zeigte sich bei der #metoo-Bewegung, die in Hollywood begann und sich in alle Branchen ausbreitete. Wenn viele Frauen den Mut aufbringen, über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu sprechen, traut sich der Rest ebenfalls.

Das gilt übrigens ganz generell für den Mut, innerhalb von Organisationen offen Probleme anzusprechen. Als Authentizität bezeichnet Francesca Gino das. Für bisher unveröffentlichte Studien liessen die Autoren die Probanden an Arbeitssituationen denken, in denen sie vollkommen sie selbst sein durften. Danach sollten sie als „Vizepräsident“ dem „CEO“ auf die Finger klopfen, weil ein Mitarbeiter ungerecht behandelt worden war. 29 Prozent jener Personen, die vorher getriggert worden war, trauten sich das. In der Kontrollgruppe waren es nur 19 Prozent.

Was kann man aus diesen Ergebnissen lernen? Dass Stillhalten in Organisationen allgegenwärtig ist und kluge Menschen in leitender Position gut daran tun, ihre Mitarbeiter zum Reden zu ermuntern:

That silence is pervasive in organizations due to the widely shared belief that speaking up about sensitive issues is futile or even dangerous. Consequently, organizations need to convey to employees that they will be protected and valued if they share suggestions, opinions, and concerns — and that those who harmed them will face serious consequences. By doing so, leaders can encourage those who are being mistreated to find their voice.

Quelle: Francesca Gino, Why It’s So Hard to Speak Up Against a Toxic Culture, hbr.org, May 21, 2018