Selbstüberschätzung: Fluch oder Segen?

Viele Menschen überschätzen sich systematisch selbst. Dieses Verhaltensmuster muss nicht immer von Nachteil sein. Es hängt immer vom jeweiligen Kontext ab – auch in Unternehmen.

Selbstüberschätzung: Fluch oder Segen?
Foto: Iko, Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0

Dass sich viele Menschen systematisch selbst überschätzen, ist nicht neu. Nehmen Sie folgende bekannte Versuchsanordnung aus der Psychologie: Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Raum mit 100 anderen Leuten. Nun sagt der Studienleiter: „Bitte heben Sie Ihre Hand, wenn Sie glauben, dass Sie zu den besten 50 Autofahrern in diesem Raum gehören.“

Würden Sie Ihre Hand heben? Wahrscheinlich schon. Und mit Ihnen würden auch noch 80 bis 90 andere Leute im Saal das gleiche tun.

Oder stellen Sie sich selber folgende Aufgabe: „Wie lange ist der Fluss Nil in Kilometer? Bitte nennen Sie eine Untergrenze und eine Obergrenze, so dass Sie sich zu 90 Prozent sicher sind, dass die richtige Antwort zwischen diesen beiden Grenzen liegt.“

Sie finden die Auflösung am Ende dieses Artikels: Lag die richtige Antwort ausserhalb der von Ihnen definierten Grenzen? Falls ja, ist das nicht so schlimm. Typischerweise, geben 50 bis 70 Prozent der Leute bei solchen Fragen ein zu enges Intervall an.

Der Mensch überschätzt sich gerne

Für viele sind die Ergebnisse dieser Studien nicht weiter überraschend. Die meisten von uns sind im Alltag immer wieder überrascht, dass eine Arbeit viel länger dauert, als man eigentlich gedacht hat, und der eine oder die andere wird wahrscheinlich bereits eine kleine Wette verloren haben, obwohl er oder sie doch so überzeugt waren, dass sie gar nicht verlieren können. Wir glauben mehr zu können und mehr zu wissen als wir tatsächlich tun.

Aber wie wirkt sich Selbstüberschätzung im Geschäftsleben aus? Obwohl sich Psychologen und Wirtschaftswissenschaftler seit den frühen 80er Jahren mit Selbstüberschätzung beschäftigen, ist die Frage nach den Auswirkungen auf den geschäftlichen Erfolg überraschenderweise erst in jüngerer Zeit intensiver untersucht worden. In einer vielbeachteten Studie haben Malmendier und Tate (2005, hier als pdf) den individuellen Grad der Selbstüberschätzung von CEOs in grossen amerikanischen Unternehmungen bestimmt.

Ein CEO wird als sich-selbst-überschätzend klassiert, wenn er in seinem persönlichen Investment Portfolio zu viele Papiere der eigenen Firma hält. Malmendier und Tate können zeigen, dass die Selbstüberschätzung von CEOs zu verzerrten Investitionsentscheidungen führt. Manager, die den zukünftigen Erfolg Ihrer eigenen Unternehmung überschätzen, investieren zu viel, wenn Projekte aus eigenen Mitteln finanziert werden können, aber sie investieren zu wenig, wenn ein Projekt fremdfinanziert werden muss.

Der Grund dafür ist einfach: Wenn ein CEO die zukünftigen Erträge eines Projekts überschätzt und allfällige Risiken unterschätzt, erscheinen ihm die für Fremdfinanzierung geforderten Kapitalkosten als ungerechtfertigt hoch, während er die erwartete Rendite auf investierte Eigenmittel als sehr hoch einschätzt. Die Folge dieses Verhaltens ist eine suboptimale Investitionsstrategie, die sich nachteilig auf die Firmenprofitabilität auswirken kann.

Wenn Selbstüberschätzung Geld kostet

Ein Folgeartikel von Malmendier und Tate (2008) zeigt, dass sich die Selbstüberschätzung von CEOs auch negativ auf Entscheidungen im Kontext von Firmenübernahmen auswirkt. Die Überschätzung der eigenen Fähigkeit zukünftige Eträge zu generieren führt dazu, dass die CEOs bereit sind, zu viel für Übernahmen zu bezahlen. Negative Reaktionen auf dem Aktienmarkt und schlechte Ergebnisse in den darauffolgenden Jahresberichten sind die typischen Folgen.

Diese negativen Effekte werfen eine wichtige Frage auf: Wenn Selbstüberschätzung bei Top-Kadern derart ungünstige Auswirkungen hat, weshalb stellen dann so viele grosse Firmen – darunter auch Banken – Leute mit übergrossen Egos an ihre Spitze?

Eine mögliche Antwort darauf liefern zwei neue Studien (Galasso und Simcoe, 2011Hirshleifer, Low und Teoh, im Druck), die aufzeigen, dass die Selbstüberschätzung von Führungskräften eben nicht nur zu verzerrten Investitionen und überteuerten Akquisitionen führt, sondern eben auch zu vermehrter Innovation.

Top-Manager, die Risiken von neuen Wegen unterschätzen, haben eine höhere Chance erfolgreiche neue Patente anzumelden und führen ihre Unternehmen häufiger in eine neue technologische Richtung. In Firmen, in welchen Innovationen von grosser Bedeutung sind, können diese positive Effekte die negativen Punkte allenfalls mehr als kompensieren. Dies erklärt, warum wir gerade in aufstrebenden Wirtschaftszweigen besonders oft sehr eigensinnige und egozentrische CEOs beobachten können.

In einer eigenen Arbeit (Herz, Schunk und Zehnder, 2012, hier als pdf), zeigen wir allerdings theoretisch und mit einem Laborexperiment auf, dass der Effekt auf die Innovationstätigkeit von der Art der Selbstüberschätzung abhängt. Während die Selbstüberschätzung der eigenen Innovationsfähigkeit zu den oben beschriebenen positiven Effekten führt, hat die am Anfang des Artikels erwähnte überschätzung der Präzision des eigenen Wissens den gegenteiligen Effekt. Wer überzeugt ist, dass die bereits existierenden eigenen Ideen kaum zu überbieten sind, hat keinen Anreiz weiter innovativ zu sein. Hier muss man als vorsichtig sein, wovon genau man spricht.

Selbstüberschätzung scheint also beides zu sein: Fluch und Segen. Ob die positive oder die negative Seite überwiegt, hängt von der Branche und der jeweiligen Wichtigkeit der betroffenen Dimensionen im Unternehmen ab. Verwaltungsräte sind gut beraten, wenn sie die verschiedenen Effekte sorgfältig gegeneinander abwägen, wenn es darum geht einen neuen CEO zu bestimmen.

Übrigens: Der Nil ist 6671 Kilometer lang.