Interview mit Professor Ernst Fehr: “Direkte staatliche Lohnobergrenzen sind gesamtwirtschaftlich schädlich”

Urs Klingler, Managing Partner bei der klingler consultants ag hat ein Interview mit Professor Ernst Fehr zum Thema Vergütungssysteme im Top-Management geführt. Er hat uns dankenswerter Weise gestattet, es auch hier in unserem Blog zu veröffentlichen: Urs Klingler: Welche langfristigen […]

Interview mit Professor Ernst Fehr: "Direkte staatliche Lohnobergrenzen sind gesamtwirtschaftlich schädlich"
Professor Ernst Fehr, stehend im Anzug

Professor Ernst Fehr

Urs Klingler, Managing Partner bei der klingler consultants ag hat ein Interview mit Professor Ernst Fehr zum Thema Vergütungssysteme im Top-Management geführt. Er hat uns dankenswerter Weise gestattet, es auch hier in unserem Blog zu veröffentlichen:

Urs Klingler: Welche langfristigen Trends sehen Sie als Wissenschaftler und vielgesuchter Gesprächspartner von Top-Managern im Compensation & Performance Management?

Ernst Fehr: Trends in der Praxis für Vergütungssysteme werden primär durch das Angebot von neuen, effizienteren Ansätzen getrieben, die Verwaltungsräten, Top-Managern und Aktionären helfen, ihre Unternehmen besser zu steuern. Als Wissenschaftler entwickle und teste ich Theorien und stelle die wissenschaftlichen Einsichten den Praktikern und Anwendern zur Verfügung. Ob wir dabei Trend- setter sind, möchte ich nicht beurteilen. Wir können jedoch bessere Methoden validieren und bewerten. Diese etablieren sich oft in der Praxis und ersetzen alte, eher schlecht funktionierende Ansätze mit neueren und besseren Instrumenten. Aufgrund meiner Gespräche und Erfahrungen mit Verwaltungsräten, CEOs und Eigentümern prognostiziere ich, dass sich folgende Entwicklungen im Bereich „Compensation & Performance Management“ durchsetzen werden.

  1. Relative Leistungsindikatoren, welche die Performance eines Unternehmens relativ zu einer grösseren Menge von «Vergleichsunternehmen» messen. Mit guten relativen Leistungsindikatoren wird die eigentliche Leistung des Managements entlohnt. Mit traditionellen absoluten Leistungsindikatoren werden sehr viele Faktoren einbezogen, auf die das Management keinen Einfluss hat – oft mit sehr negativen Auswirkungen.
  2. Verschiedene Bonustöpfe (kurzfristig, langfristig, etc.) erlauben oft keine klare Sicht auf die Anreizstrukturen des Vergütungssystems. Auch ist die Struktur der Gesamtkompensation dann häufig unklar und intransparent. Dies bringt Kosten und eine suboptimale Steuerung des Unternehmens mit sich. Ein einziger, jährlich festgelegter Bonus genügt, um effiziente Anreizmechanismen zu setzen.
  3. Die Auszahlungsstruktur der jährlich festgelegten Boni sollte die langfristigen, strategischen, Auswirkungen der Entscheidungen des Top-Managements auf das Unternehmen unbedingt in Betracht ziehen. Je langfristiger die Wirkung der Entscheidung des Top-Managers, desto weiter in der Zukunft sollten die durchschnittlichen Bonusauszahlungen ausbezahlt werden.
  4. Mehr Transparenz bei der Festlegung des Jahresbonus kann ein Vorteil für Unternehmen sein. Insbesondere dann, wenn ein Unternehmen die erwartete durchschnittliche jährliche Gesamt- kompensation eines Managers in Verbindung mit dem Wettbe- werbslohn für den Manager öffentlich macht. Damit informiert das Unternehmen die Öffentlichkeit über die erwartete Gesamt- kompensation im Vergleich zu dem Einkommen, das ein Manager in einem Wettbewerbsmarkt bekommt. Damit beugt es der Gefahr vor, dass die Gesamtvergütung seiner Manager als ungerechtfertigt hoch kritisiert wird.
  5. Insbesondere in grossen Unternehmen wird die Einführung von neuen Bonussystemen im Rahmen von Pilot-Tests einem „Realitäts-Check“ unterzogen werden. Innerbetriebliche Veränderungen, speziell im Bereich Vergütung, erfordern ein hohes Mass an Fingerspitzengefühl und Wissen – insbesondere darüber, wie die Mitarbeiter auf die Veränderungen reagieren. Ohne genaue Prognose des Mitarbeiterverhaltens sind Änderungen der Vergütungssysteme mit der Einnahme von Medikamenten zu vergleichen, deren Nebenwirkungen man nicht kennt.

Haben Sie Vorschläge oder Konzepte für eine nachhaltige Vergütung?

Das Design von Vergütungssystemen findet immer im Spannungsfeld der Ansprüche der Aktionäre, den Bedürfnissen des Top-Managements und den Auswirkungen auf den Rest der Unternehmung statt. Nachhaltige Vergütungssysteme orientieren sich an der operativen und strategischen Leistung des Top-Managements und versuchen, erfolgreiche Manager ans Unternehmen zu binden. Alle Vergütungssysteme haben potentiell schädliche Nebenwirkungen im Unternehmen – die Kunst ist es, diese Nebenwirkungen auf ein Minimum zu reduzieren. Wenn man alle von mir beschriebenen 5 Trends umsetzt, kann man davon ausgehen, seinen Mitarbeitern ein effizientes und damit nachhaltiges Vergütungssystem zur Verfügung zu stellen.

Nach der Finanzkrise versuchen Regulatoren und Politiker Einfluss auf die Ausgestaltung der Vergütung zu nehmen. Was ist Ihre Meinung zu diesem Thema?

Die Versuche, die Top-Management Vergütung gesetzlich zu regulieren, setzen hauptsächlich an der absoluten Höhe der Vergütung an. Prinzipiell gilt hier, dass direkte staatliche Eingriffe zur Beschränkung der Gesamtvergütung von Top-Managern volks- und betriebswirtschaftliche Kosten zur Folge haben, weil sie es den Unternehmen oft nicht mehr erlauben, die besten Mitarbeiter anzuziehen.

Falls eine Mehrheit der Schweizer Bürger die bestehenden Einkommensunterschiede für korrekturbedürftig hält, ist es besser, dieses Problem im Rahmen der Steuergesetzgebung zu lösen, die für alle Staatsbürger Regeln aufstellt. Direkte staatlich verordnete Lohnobergrenzen sind hingegen gesamtwirtschaftlich schädlich.

Immer wieder wird die Forderung nach Transparenz bei der Vergütung auf Geschäftsleitungsebene laut. Wenn es so kommt, was wären mögliche Auswirkungen?

Prinzipiell muss hier gesagt werden, dass es für börsenkotierte Unternehmen im Rahmen der Publikationsvorschriften bereits gesetzliche Richtlinien gibt, die eine gewisse Transparenz über die Vergütung des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung bieten. Die Unternehmen sehen jedoch heute grösstenteils keinen Anlass dazu, mehr Elemente offenzulegen, als vom Gesetz verlangt. Dies ist eigentlich schade und ich denke, dass sich die Unternehmen in dieser Hinsicht keinen Dienst erweisen.

Mehr Transparenz in der Festlegung des Jahresbonus kann ein Vorteil für Unternehmen sein. Insbesondere dann, wenn ein Unternehmen die erwartete durchschnittliche jährliche Gesamtkompensation eines Managers zusammen mit seinem Wettbewerbslohn öffentlich macht. Damit beugt es der Gefahr vor, dass die Gesamtvergütung seiner Manager als ungerechtfertigt hoch kritisiert wird.

Niemand kann einem Verwaltungsrat vorwerfen, dass er die besten Experten an die Spitze eines Unternehmens beruft und ihnen – weil sie Spitzenkräfte sind – einen (hohen) Wettbewerbslohn bezahlen muss.

Die transparente Kommunikation dieser Eckpunkte setzt den Vergütungsausschuss eines Unternehmens jedoch dann der Kritik aus, wenn die durchschnittliche Vergütung systematisch, also dauerhaft, oberhalb des bereits kommunizierten Wettbewerbslohnes liegt. In diesem Fall wurde entweder der Wettbewerbslohn oder die zu erwartende Höhe des Leistungsindikators oder beides falsch eingeschätzt.

Fixe versus variable Vergütung. Was sind Ihre Prognosen?

Bei nachhaltigen Vergütungssystemen gilt die Regel, dass der Mitarbeiter bei Zielerreichung erwarten kann, seinen Wettbewerbslohn zu verdienen. Verdienen Manager kontinuierlich mehr als ihren Wettbewerbslohn, wird dies zu negativen Auswirkungen in der Belegschaft, der Öffentlichkeit und letztendlich auch bei den Aktionären führen. Erhält das Management systematisch weniger als den Wettbewerbslohn, wird der Verwaltungsrat Mühe haben, die Geschäftsleitung langfristig ans Unternehmen zu binden. Beide Effekte sind sicherlich nicht wünschenswert für das Unternehmen. Ob nun ein fixer Lohn oder ein variables Vergütungssystem gewählt wird, hängt hauptsächlich von der Industrie und dem Unternehmen selbst ab. Variable Kompensationskomponenten können häufig sinnvoll sein, aber sie sind nicht das „allein selig machende“ Prinzip. Man kann auch bei einer fixen Entlohnung Leistungsanreize schaffen, insbesondere dann, wenn das Management nicht durch lang- fristige Verträge abgesichert sind. Dann entstehen automatisch Leistungsanreize, weil ja niemand gern seinen Job verliert.

Oft wird argumentiert, dass die „variablen Vergütungssysteme“ helfen, gerade für schlechte Zeiten die operativen Risiken der Unternehmen zu reduzieren. Dies gilt meiner Meinung nach nur sehr bedingt für das Top-Management. Wenn Top-Manager im Durch- schnitt nicht ihre Marktentlohnung erhalten, ist die Wahrschein- lichkeit hoch, dass sie das Unternehmen verlassen werden. Wie sonst lässt sich erklären, dass oft in konjunkturell schlechten Zeiten spezielle Boni an das Management ausbezahlt werden müssen, um ungewollte Abgänge in der Geschäftsleitung zu verhindern.

Vielen Dank für Ihre Ausführungen und weiterhin viel Erfolg bei Ihren Forschungsarbeiten, deren wertvolle Erkenntnisse wir gerne anwenden.

Das Interview führte Urs Klingler, Managing Partner klingler consultants ag

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