Mit weniger mehr erreichen: Wie man einfache Regeln für komplexe Entscheidungen designt

Oft haben wir nicht genug Zeit und Informationen, um wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen. Die Forschung Gerd Gigerenzers zeigt: Gerade deshalb werden sie oft besser.

Gerd Gigerenzer
Gerd Gigerenzer. Foto: stephan-roehl.de/Heinrich Böll Stiftung, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Die von Daniel Kahneman und Amos Tversky erforschten menschlichen Biases, die systematisch auftretenden Fehler beim Wahrnehmen, Denken und Entscheiden, sind eines der zentralen Konzepte der Verhaltensökonomie. Behavioral Design, das Biases berücksichtigt, greift etwa gezielt zu Werkzeugen, die Menschen zum Denken zwingen, um ihren Biases nicht auf den Leim zu gehen. Oder es operiert im Hintergrund, zum Beispiel durch Nudges, die uns in eine Richtung schubsen, ohne dass wir es bemerken.

Gerd Gigerenzer, Psychologe, Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Direktor des Harding-Zentrum für Risikokompetenz, führt wegen des Konzepts der Biases schon seit den 1990er-Jahren einen wissenschaftlichen Diskurs mit Kahneman. Sein letzter Beitrag dazu trägt den Titel «The Bias Bias in Behavioral Economics».

Die Verhaltensökonomie, so führt er darin aus, wird wird durch eine so genannte «Bias Bias» beeinträchtigt – eine Tendenz, systematische Verzerrungen auch dort zu erkennen, wo gar keine sind. Mal seien die Stichproben zu klein gewählt, mal werde der Zufall als Systematik gedeutet, mal werden intelligente Schlussfolgerungen mit logischen Fehlern verwechselt. Das sind allesamt Argumente, die es verhaltensökonomischen ForscherInnen ermöglichen, durch neue Forschungsinitiativen und neue Experimente unser Gebiet weiterzuentwickeln – immer mit dem Fokus, auf die Kritik Gigerenzers evidenzbasierte Antworten zu finden.

Dabei braucht es einerseits mehr Transparenz beim Design von Experimenten, mehr Wiederholung, mehr Reproduzierbarkeit. Und andererseits muss auch das Verständnis von HeuristikenGigerenzers Forschungsschwerpunkt – ein integraler Bestandteil von Behavioral Design sein. Entscheidungsmodelle, die allein auf Logik und Wahrscheinlichkeiten beruhen, so Gigerenzer, sind nur dann passend, wenn sie in einer Welt mit festen Regeln passieren. In Zeiten schneller Veränderung hingegen brauchen wir auch Erfahrungen, Intuitionen und Heuristiken. Nur so gelingt Menschen das, was sie in brenzligen Situationen am besten können: Mit weniger mehr erreichen.

Ich freue mich daher schon sehr auf den Austausch mit Gerd Gigerenzer an der Academy of Behavioral Economics am 29. Janur 2020.

Gerhard Fehr
CEO & Executive Behavioral Designer
FehrAdvice & Partners AG, Zürich

 



Interview:
Gigerenzer über die Grenzen des Modells von Kahneman

In einem Interview für die Sendung «Scobel» auf 3sat erklärt der Psychologe Gerd Gigerenzer die Kritik Daniel Kahnemans am Homo oeconomicus, die diesem 2002 einen Wirtschafts-Nobelpreis einbrachte. Dieses Kahnemann-Modell lässt sich hingegen seinerseits kritisieren.

Video ansehen

 


★★
Vortrag:
Einfache Regeln für komplexe Entscheidungen

Wie kommt man zu einer guten Entscheidung? Mit einer langen Liste der Vor- und Nachteile aller Alternativen? Mitnichten, sagt Gerd Gigerenzer, Psychologe und Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Und das ist nicht einmal schlimm, im Gegenteil: Partielles Nichtwissen kann Entscheidungen sogar besser machen.

 

 


★★★
Risikokompetenz:
Statistiken besser einordnen

Aufgrund fehlender Kompetenz im Umgang mit Ungewissheiten handeln viele Menschen irrational. Ein Beispiel: Nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 stornierten in den USA viele Menschen ihre Flugreisen und stiegen aufs Auto um. Während Fliegen nach 9/11 wohl so sicher war wie nie zuvor, stieg die Unfallrate auf den amerikanischen Straßen bis Ende 2002 deutlich an – um rund 1600 Tote mehr als in den Vorjahren. Gerd Gigerenzer plädiert daher im folgenden Podcast für mehr Risikokompetenz – den richtigen Umgang mit Daten und Statistiken.

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