Behavioral Insights: Welche verhaltensökonomischen Interventionen in der Wirtschaftspolitik funktionieren – und welche nicht

Werkzeugkasten für Behavioral Designer: Ein neuer Report des britischen “Behavioral Insights Team” berichtet über beispielhafte verhaltensökonomische Massnahmen der letzten Jahre in der Wirtschaftspolitik.

Behavioral Insights: Welche verhaltensökonomischen Interventionen in der Wirtschaftspolitik funktionieren – und welche nicht

Als die Nudge-Unit „Behavioural Insights Team“ (BIT) 2010 gegründet wurde, erholte sich Grossbritannien gerade von seinem schlimmsten wirtschaftlichen Abschwung seit dem 2. Weltkrieg. In den darauffolgenden Jahren zählte das Ankurbeln der britischen Produktivität zu den zentralen Herausforderungen der politischen Entscheidungsträger. Viele vormals führende Unternehmen erholten sich nicht so schnell wie angenommen, und folglich entstand eine grosse Lücke zwischen diesen Firmen und ihrer Konkurrenz. Der Brexit, dessen Umsetzung noch immer ungewiss ist, erschwert die Situation nur noch.

Mit den meisten Problemen steht UK aber nicht alleine da: Die USA und ein Grossteil Westeuropas verzeichneten in den letzten zehn Jahren ein historisch niedriges Produktivitätswachstum. Gleichzeitig wird von Unternehmen erwartet, dass sie ihren Beitrag zur Bewältigung der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen leisten, etwa die Reduzierung von CO2-Emissionen, Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen oder Schaffung einer gerechteren Gesellschaft.

Das BIT berät Politik und Verwaltung dahingehend, das Verhalten ihrer Bürger unter möglichst geringem Mitteleinsatz in eine Richtung zu lenken, die für den Einzelnen und die Allgemeinheit gesünder, kostengünstiger, sozialer, insgesamt also: besser ist. Nun haben die Nuding-Experten einen Report veröffentlichgt, der veranschaulicht, welche Interventionen vor allem im wirtschaftspolitischen Bereich funktionieren können. Auch hier gelten ihre vier Maximen: „Make it easy“, „Make it attractive“, „Make it social”, „Make it timely“ – leicht zu merken unter dem Akronym EAST.

Beispiele sind etwa die Aufforderung an Unternehmen, ihre geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede zu melden. Damit werden sie dazu gedrängt, ihren Gender-Gap zu verringern. Oder etwa die Ankündigung einer Zuckerabgabe, damit Erzeuger ihre Rezepturen rechtzeitig ändern, bevor die Abgabe tatsächlich eingeführt wird.

Drei Hürden müssen genommen werden

Drei grosse Hindernisse müssen den Verantwortlichen bei Verhaltensinterventionen klar sein: Erstens funktionieren viele Märkte aufgrund verhaltensbedingten Marktversagens nicht ideal. Es ist zum Beispiel schwierig, Informationen über gute Lieferanten zu finden. Transparenz kann entscheidend dazu beitragen, dass aufstrebende Unternehmen mit grossen Konkurrenten mithalten können: Eine Steigerung der Yelp-Bewertungen um nur einen Stern etwa führt zu einer Steigerung der Restauranteinnahmen um fünf bis neun Prozent. Solche Reputationssysteme verändern die Dynamik der Märkte grundlegend.

Zweitens sollte die Verbreitung von Wissen und Innovation in den Märkten verbessert werden. Ein Versuch in China ergab, dass Manager, die an monatlichen Besprechungen teilnehmen mussten, innovativer waren und ein Jahr später einen um acht Prozent höheren Umsatz erzielten als eine Kontrollgruppe. Im Vergleich zu herkömmlichen und sehr teuren Management-Trainings ist das ein gutes Ergebnis.

Insgesamt müssen politische Entscheidungsträger die richtigen Geschäftsanreize entwickeln, wirtschaftliche Schlüsselmotivationen nutzen und Verhaltensbarrieren beseitigen. Ein Austesten im Vorfeld ist unumgänglich, um kostenintensive Fehler gar nicht erst zu begehen. Beispielsweise kosten britische Steuererleichterungen für kleine und grosse Unternehmen betreffend F&E insgesamt 3,6 Mrd. GBP pro Jahr. Dieser teure Anreiz geht allerdings in die falsche Richtung:

[…] BIT’s qualitative research finds that small businesses deciding whether to invest in R&D for the first time rarely factor the relief into their decisions due to lack of awareness and the fact that it does not help with the upfront costs of investment.

Der 20-seitige Report des Behavioural Insight Teams mit dem Titel „Boosting business: applying behavioural insights to business” bietet neben Berichten zu wirtschaftspolitischen Interventionen auch einen Tool-Kit für Praktiker und schliesst mit den Worten:

Incorporating a behavioural approach into business policy is not about abandoning traditional approaches but instead about designing them in such a way as to increase their impact and cost-effectiveness. A recent estimate suggests that if the UK’s least productive firms raised their productivity to the level of their German equivalents, it would be worth over £100bn to the UK economy. Making this happen requires designing, testing and trialling new ways of doing business policy.

Quelle: Boosting businesses: applying behavioural insights to business, bi.team, 8th October 2019