Wanted dead or alive: Eine Choice Architecture kann über Leben oder Tod entscheiden

Zum kleinen Einmaleins eines Behavioral Designers gehört es, mit Entscheidungsarchitekturen das Verhalten von Menschen zu beeinflussen. Nur was ist das überhaupt? Und was muss man dabei beachten?

Zum kleinen Einmaleins eines Behavioral Designers gehört es, mit Entscheidungsarchitekturen das Verhalten von Menschen zu beeinflussen. Nur was ist das überhaupt? Eine Entscheidungsarchitektur macht den Menschen in wichtigen Situationen bewusst, dass sie nicht nur eine, sondern mehrere Optionen haben, und unterstützt sie dabei, die für sie richtige Entscheidung zu treffen. Und wer die aktuelle Diskussion über die Organspenden in der Schweiz oder Deutschland verfolgt, der lernt darüber hinaus: Sie kann über Leben oder Tod von Menschen entscheiden.

Warum? Unsere Untersuchungen zeigen, dass in der Schweiz und Österreich ungefähr gleich viel Menschen prinzipiell dazu bereit sind ihre Organe zu spenden. Trotzdem gibt es in der Schweiz zu wenig Organspender und in Österreich ausreichend. Der Grund: In Österreich ist jeder Bürger automatisch Organspender, ausser er entscheidet sich bewusst dagegen (eine so genannte Widerspruchslösung). In der Schweiz ist es genau umgekehrt. Daher sterben in der Schweiz jedes Jahr Menschen, weil sie nicht rechtzeitig zu einem Organ kommen. Letztes Jahr war dies bei 68 Menschen der Fall. Rund 1400 Patienten standen 2018 auf der Warteliste für eine Transplantation. Ein Komitee aus Ärzten und Politikern hat deshalb die Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» eingereicht. Sie fordert eine Widerspruchslösung ähnlich wie in Österreich.

Doch ist es mit dieser veränderten Entscheidungsarchitektur automatisch getan? 

Als 2018 in den Niederlanden beschlossen wurde, ebenfalls eine Widerspruchslösung einzuführen, stieg die Zahl der Menschen, die sich explizit gegen eine Spende entschieden, dramatisch an. Auch viele, die sich bereits aktiv für eine Spende entschieden hatten, änderten mit der Ankündigung der Gesetzesänderung ihre Patientenverfügung.

Die Lehre daraus: Eine Entscheidungsarchitektur – egal ob in Politik oder Wirtschaft – ist immer nur so gut wie sie antizipiert, wie die Menschen darauf reagieren.

Um hier für die Bürgerinnen und Bürger verlässliche und nachhaltige Entscheidungsarchitekturen einzuführen, müssen diese vorher mit Experimenten getestet werden. Wie das geht zeigen uns Initiativen wie das britische Behavioral Insights Team seit einigen Jahren. Nur Experimente schaffen das nötige Wissen und damit die Grundlage für evidenzbasiertes Behavioral Design, das tatsächlich das Verhalten verändert. In diesem Sinne habe ich hier drei Inspirationen zu Wirkungen und Nebenwirkungen von Choice Architectures in der Praxis zusammengestellt.



Essay:
Behavioral Design als implizite soziale Beziehung

Job M. T. Krijnen, David Tannenbaum und Craig R. Fox sind überzeugt: Nicht nur das Design einer Entscheidungsarchitektur beeinflusst die Entscheidungen von Menschen, sondern auch die implizite Beziehung zwischen den Menschen und den Gestaltern der Entscheidungsarchitektur. Dieses «social sensemaking» bewertet die Absichten der Auswahl und versucht zu antizipieren, wie die Entscheidung von den Entscheidungsarchitekten ausgelegt wird.

Abgeleitet aus vielen Fallbeispielen entwerfen die Autoren auch ein Framework, um systematisch jene Faktoren zu erfassen, die «social sensemaking» triggern können. Das hilft beim Prototyping und führt die Implementierung von Choice Architectures schneller zum Erfolg.

Choice architecture 2.0: Behavioral policy as an implicit social interaction

 


★★
Neues Paper:
Nudging für die Klimawende – Nur Experimente können wirklich zeigen was wirkt

Als politisches Werkzeug zeigen Nudges immer wieder ihre Wirkung – auch für Verhaltensänderungen im Sinne eines nachhaltigeren Lebensstils. Doch sie können auch unerwünschte Nebenwirkungen haben, wie David Hagmann, Emily Ho & George Loewenstein in «Nudging out support for a carbon tax» (erschienen in Nature) zeigen. So stellten die Forscher zum Beispiel fest, dass die Unterstützung für eine CO2-Steuer abnimmt, wenn Menschen sich bereits zuvor aufgrund eines Nudges – im konkreten Fall eine Choice Architecture– für Öko-Energie entschieden hatten.

Das Dilemma konnte jedoch durch Experimente und weiteres Prototyping gelöst werden: Im Abschluss-Experiment zeigte sich, dass die Probanden sowohl das Nudging als auch eine CO2-Steuer unterstützen, wenn ihre Wahrnehmung während der Entscheidungsfindung korrigiert wird – man muss sie einfach nur über die vergleichsweise geringen Auswirkungen des Stupsers aufklären beziehungsweise darüber informieren, dass Einnahmen aus einer CO2-Steuer dazu verwendet werden könnten, andere Steuern zu reduzieren.

Behavioral Economics News: Nudging für die Klimawende

 


★★★
Video:
Mit welchen sanften Interventionen man Menschen zu besseren Entscheidungen bringt – und warum sie es dann trotzdem anders machen

Beim VBEN am 22. Mai 2019 referierte der Verhaltensökonom Klaus Wertenbroch über die Tendenz der Menschen zum “Misbehaving” – und mit welchen sanften Massnahmen man sie davor bewahren kann. Allerdings verhalten sich Menschen dann trotzdem nicht immer so wie von Entscheidungsarchitekten erwartet.

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