Vom Grenznutzen schlechter Kunst

Experimente mit Kunstwerken zeigen: Je intensiver wir uns mit etwas beschäftigen, desto besser gefällt es uns. Aber leider ist es doch nicht so einfach – zumindest in der Welt der Kunst …

Vom Grenznutzen schlechter Kunst
Experimente mit Kunstwerken zeigen: Je intensiver wir uns mit etwas beschäftigen, desto besser gefällt es uns. Aber leider ist es doch nicht so einfach – zumindest in der Welt der Kunst ...


Der Ökonom Alfred Marshall, Vertreter der Cambridger Schule der Neoklassik, hat das Konzept des abnehmenden Grenznutzens entscheidend geprägt: Je umfassender man mit einem Gut versorgt ist, desto weniger will man davon noch haben. Doch wie viele grosse Konzepte gelten sie nicht für alles und jeden. Schon gar nicht, wenn der Mensch nach etwas süchtig ist. Und nein, das müssen keine Drogen sein – es gibt etwa auch genug Menschen, die von guter Musik oder Kunst nicht genug bekommen können.

Doch was ist eigentlich gute Kunst, gute Musik? Liegt sie tatsächlich im Auge des Betrachters (oder im Ohr des Zuhörers) – oder ist die Unterscheidung zwischen „gut“ und „schlecht“ doch objektiv feststellbar und dabei womöglich sogar von Faktoren beeinflusst, die uns gar nicht bewusst sind?

Um Problemstellungen dieser Art auf die Spur zu kommen, helfen Experimente. Zu überprüfen ist hier etwa die These, dass wir Bekanntes dem Unbekannten tendenziell vorziehen, wodurch in der Kunstwelt dann so etwas wie der Kanon entsteht – der grösste gemeinsame Nenner dessen, was Kenner als gut und schön empfinden.

Eine vor zehn Jahren durchgeführte Studie zeigte in diesem Zusammenhang allerdings: Je länger Studenten mit unbekannten Werken berühmter Künstler konfrontiert wurden, desto eher erwärmten sie sich dafür bzw. zogen sie sogar den Meisterwerken vor. Die Vorlieben der Studenten formten sich also mit der Intensität der Auseinandersetzung und hatten viel weniger mit dem Bekanntheit und dem Ruf der Werke zu tun als angenommen.

Waldidyll versus Winterstarre

So weit, so gute Kunst. Doch gelten diese Muster auch für Werke, die es nie in den Kanon schaffen werden – für “schlechte” Kunst? Ein im British Journal of Aesthetics veröffentlichtes Experiment konfrontierte Probanden mit zwei sehr unterschiedlichen Gemälden: Einer Winterlandschaft des Briten John Everett Millais (*1829) – siehe Abbildung oben – sowie einem Waldidyll in allen Regenbogenfarben von Thomas Kinkade (*1958), das im Experiment stellvertretend für ein weniger gelungenes Werk stand.

Entgegen aller Erwartungen trat nun ein etwas anderes Verhalten auf: Je mehr sich die Studienteilnehmer mit Kinkades Gemälde beschäftigen mussten, desto weniger konnten sie es ausstehen. Bei Millais Arbeit passierte, ganz konform mit der Studie aus dem Jahr 2003, das Gegenteil: Sie wuchs den Betrachtern immer stärker ans Herz.

Aus diesen Ergebnissen lässt sich ein vorsichtiges Fazit ziehen: Je mehr wir mit guter Kunst zu tun haben, desto mehr schätzen wir sie. Schlechte Kunst hingegen scheint einen abnehmenden Grenznutzen aufzuweisen. Bleibt nur mehr das Problem zu lösen, wie sich der Unterschied zwischen “gut” und “schlecht” definieren lässt. Aber das ist vielleicht keine Frage für experimentelle Ökonomen, sondern eine Frage, die tatsächlich jeder für sich selbst entscheiden sollte.

Quellen:
James, E. Cutting, Gustave Caillebotte, French Impressionism, and mere exposure, Cornell University, New York, 2013
Aaron Meskin, Mark Phelan, Margaret Moore, Matthew Kieran, Mere exposure to bad art, British Journal of Aesthetics, Oxford, February 2013
The Economist, The Utility of Bad Art, 7.8.2013