Kleiner Schubs, grosse Wirkung: Sanfter Paternalismus lässt uns besser entscheiden

Der Mensch ist bei wichtigen Entscheidungen nicht immer in der Lage, für sich die besten Entscheidungen zu treffen. Es braucht allerdings nicht viel, um ihn dabei zu unterstützen. Ein paar sanfte Stupser (auch “Nudges” genannt) können schon helfen.

Kleiner Schubs, grosse Wirkung: Sanfter Paternalismus lässt uns besser entscheiden
Foto: Andrew Chin

Bis vor wenigen Jahren war das ökonomische Verständnis von Menschen klar umrissen. Der Mensch ist ein rationales Wesen. Er weiss, was gut für ihn ist. Er kennt seine Präferenzen und kann für sich optimale Entscheidungen treffen, die zu ihm passen. Er isst, was er für richtig hält. Er kauft das Auto, das ihm den grössten persönlichen Nutzen bringt. Und auch seine finanziellen Angelegenheiten gestaltet er so, dass er für den Ruhestand optimal vorgesorgt und genug Ersparnisse für die Erfüllung aller Pläne hat.

In den vergangenen 30 Jahren hat sich in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung viel getan. Wir wissen heute viel mehr über das Verhalten, die Vorlieben und die Präferenzen des Menschen und wie sie sich auf Unternehmen und Märkte auswirken.

Die Menschen brechen zum Beispiel regelmässig Vorsätze, hören nicht zu rauchen auf, obwohl es sie krank macht und sparen viel weniger als sie sich vorgenommen haben. Das bedeutet zwar nicht, dass der Mensch nicht in vielen Situationen seine Probleme rational angeht, doch bei wichtigen Entscheidungen ist er nicht immer in der Lage, für sich die besten Entscheidungen zu treffen.

Es braucht allerdings nicht viel, um ihn dabei zu unterstützen. Ein paar sanfte Stupser (auch “Nudges” genannt) können schon helfen, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Sanfte Stupser können helfen

Das erste stammt aus dem Bereich der privaten Altersvorsorge. In den USA bezuschussen viele Unternehmen die Rentenversicherungen ihrer Mitarbeiter – traditionell jedoch nur dann, wenn der Beschäftigte sich selbst aktiv darum gekümmert hat, solch eine Versicherung abzuschliessen (eine “Opt-in”-Regel). Viele Beschäftige aber schaffen es nicht, die Formulare für den privaten Rentensparplan ihres Unternehmens auszufüllen. Daher ist die Beteiligung an solchen Programmen in der Regel relativ gering – und viele Beschäftigte stehen in der Pension ohne entsprechende Vorsorge da.

Verhaltensorientierte Ökonomen empfehlen daher, von „Opt-in“ auf „Opt-out“ umzustellen. So bekommt jeder neue Beschäftigte automatisch eine solche Altersvorsorge-Versicherung – es sei denn, er entscheidet sich bewusst dagegen.

Zahlreiche empirische Beispiele zeigen: Die Beteiligung an der Altersvorsorge steigt so deutlich an, ohne dass die Wahlfreiheit des Einzelnen ernsthaft eingeschränkt wird, weil der Beschäftigte ja bei der Opt-out Regel jederzeit austreten kann. 2006 hat der US-Kongress daher das „Opt-out“ bei staatlicher Förderung privater Altersvorsorge gesetzlich vorgeschrieben.

Wie nicht bindende Defaults wirken

Der Effekt von nicht bindenden Standardeinstellungen (so genannten “Defaults”) ist auch in vielen anderen gesellschaftspolitisch relevanten Bereichen zu beobachten. Zum Beispiel gibt es in Österreich um ein Vielfaches mehr Organspender als in Deutschland oder der Schweiz. Der Grund dafür ist der Default: In Österreich ist jeder Organspender, der sich nicht ausdrücklich dagegen ausspricht. Es ist allerdings auch nicht aufwändig, kein Organspender zu sein. Ein formloser Brief an die entsprechende Meldestelle genügt. In Deutschland und der Schweiz ist der Default genau umgekehrt. Dort braucht es die ausdrückliche Zustimmung, um zum Organspender zu werden – ein Schritt, zu dem sich vergleichsweise wenige Menschen entschliessen.

Bedeutung und Grenzen von Nudges

Für Politik und Wirtschaft haben solche Ergebnisse eine grosse Bedeutung. Und selbst jene, die davor warnen, dass diese sanfte Form des Paternalismus schleichend zu einer harten Variante mutieren könnte, die die persönlichen Freiheiten einschränkt, argumentieren ins Leere. Es gibt auch ohne sanften Paternalismus eine Vielzahl von Regeln. Ja selbst wenn es keine Standardeinstellung gibt, gibt das in Wahrheit einen Standard vor, nämlich den Status quo so zu belassen wie er ist.

Doch eines darf auch hier nicht vergessen werden: Kleine Stupser können zwar grosse Effekte haben, doch generelle ökonomische Zusammenhänge setzen sie deshalb noch lange nicht ausser Kraft.

Auch dazu ein Beispiel: In den Vereiningten Staaten wurde mit Nudges versucht, das Problem des grassierenden Übergewichts in der Bevölkerung in den Griff zu bekommen. Doch alle Initiativen wie Labels und Warnsymbole fruchteten bisher wenig. Aus einem einfachen Grund: Ungesunde Lebensmittel wurden in den vergangenen Jahrzehnten deutlich billiger, während Obst und Gemüse so teuer wurden, dass auch sanfte Stupser in die richtige Richtung nicht mehr zu einem gesünderen Lebensstil anregen. Oft ist es dann doch der Preis, der entscheidet. Es kommt eben darauf an, die Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Nudges zu identifizieren und zu verstehen, wann sie wirksam sind und wann nicht.