Wenn Aktien „heiss“ sind und Firmen „einen Lauf“ haben

Menschen wollen gerne in einer Reihe zufälliger Ereignisse einen Trend erkennen. Das ist irrational. Aber gleichzeitig ist oft nicht klar, ob die beobachtete Reihe wirklich zufällig ist oder doch fundamentale Gründe hat.

Wenn Aktien „heiss“ sind und Firmen „einen Lauf“ haben
Menschen wollen gerne in einer Reihe zufälliger Ereignisse einen Trend erkennen. Das ist irrational. Aber gleichzeitig ist oft nicht klar, ob die beobachtete Reihe wirklich zufällig ist oder doch fundamentale Gründe hat.

Im letzten Blog habe ich vom fälschlichen Glauben, dass der „Zufall sich rasch ausgleicht“ („Gambler’s fallacy“) berichtet. Der aktuelle Blog handelt von der gerade umgekehrten Tendenz, nämlich, dass Menschen zu sehr glauben, in einer Reihe zufälliger Ereignisse einen Trend zu erkennen. Leider ist es selbst mit reichlich vorhandenen Felddaten erstaunlich schwierig zu ermitteln, ob der Glaube an eine Trendfortsetzung rational ist.

Wenn ein sonst durchschnittlicher Basketballer fünfmal hintereinander aus grosser Distanz in den Korb trifft, denken sich viele Zuschauer: der Spieler hat einen Lauf! Oder wie man auf Englisch sagt: „He’s got a hot hand“. Dementsprechend erwarten sie, dass dieser Spieler beim nächsten Versuch mit hoher Wahrscheinlichkeit nochmals punkten wird.

Wenn die Wahrscheinlichkeit zu punkten tatsächlich unabhängig davon ist, ob der Spieler in den vorhergehenden Versuchen getroffen hat, liegt eine verzerrte Wahrnehmung bzw. Täuschung vor. Man spricht dann von der „Hot Hand fallacy“ (Gilovich, Vallone und Tversky, 1985).

Klar, manchmal sehen Menschen Trends, wo keine sind. Man hat eine Tendenz, die Macht des Zufalls zu unterschätzen. In seltenen Fällen wird eben einer (von x im Prinzip identischen und durchschnittlichen) Anlagefonds aus purem Glück fünf Jahre lang eine aussergewöhnliche Performance hinlegen, einer von x Analysten den Zeitpunkt des Crashs zufällig mehrfach treffen oder einer von x Basketballern Glück haben und den Korb fünfmal hintereinander treffen.

Die Erwartung, dass der ungewöhnlich erfolgreiche Manager/Analyst/Athlet auch in Zukunft besonders erfolgreich sein wird, ist dann eine Täuschung. Aber die Frage, ob es sich bei solchen Erwartungen tatsächlich um Täuschungen handelt, ist nicht einfach zu entscheiden. Es ist nämlich oft nicht klar, ob die beobachtete Reihe wirklich zufällig ist oder ob es nicht doch „fundamentale“ Gründe für einen Trend gibt. Dies ist besonders der Fall, wenn ein Element von Fähigkeit oder Fertigkeit eine Rolle spielt und die „Tagesform“ von der Form des „Vortages“ abhängt (die Leistung ist in diesem Fall positiv autokorreliert).

Hand hot or not?

Nun könnte man meinen, dass die Frage, ob es eine „Hot Hand“ (d.h. positive Autokorrelation) tatsächlich gibt, im Sport besonders leicht entschieden werden kann. Schliesslich gibt es hier Athleten und Beobachter (analog zu Anlagefonds und Investor), und man kann die Erwartung der Beobachter abfragen und die Leistung der Athleten scheinbar klar messen. Die Studie von Gilovich et al., die den Zusammenhang im Basketball ursprünglich behauptet hat, konnte aber durch spätere empirische Untersuchungen aus der Welt des Sports nicht eindeutig gestützt werden.

In einem Überblicksartikel, der etwa zwei Dutzend empirische Arbeiten zu verschiedenen Sportarten untersucht hat, kommen die Autoren (Bar-Eli et al. 2006) zum Schluss: “We think it is safe to say that the scientific support for the hot hand is controversial and fairly limited“. Warum ist die wissenschaftliche  Evidenz für die Existenz einer „Hot Hand“ im Sport umstritten und eher bescheiden? Basketball eignet sich für den zweifelsfreien Nachweis der Hot Hand wenig, weil es sich um eine variable und interaktive Sportart handelt. Spieler, die ungewöhnlich erfolgreich waren, beginnen sich anders zu verhalten (versuchen zum Beispiel gewagtere Würfe). Ausserdem ändert sich das Verhalten der gegnerischen Mannschaft (zum Beispiel wird der überraschend erfolgreiche Werfer intensiver attackiert).

Verhaltensänderung der Akteure

Selbst wenn es eine Hot Hand also gäbe, man würde sie in Daten nicht sehen, weil sich das Verhalten der Akteure verändert. Analoges mag sich in Finanzmärkten abspielen. Besonders erfolgreiche Firmen beginnen sich anders zu verhalten (wagen etwa riskantere Investitionen), Analysten passen die Erwartungen an, Investoren reagieren, die Aktienpreise ändern sich, etc.

Aber bei nicht-interaktiven Sportarten sollte der Fall doch wenigstens klar sein. Wie sieht es denn beim Bowling aus? Hier ist die Situation bei jedem Wurf dieselbe und der Gegner kann einen Spieler, der tatsächlich „einen Lauf“ hat, nicht stören. Eine kürzlich erschienene Studie von Yaari und David (2012) untersucht die Ergebnisse der besten hundert Bowler der USA in mehreren zehntausend Spielen. Diese Autoren finden Evidenz für „Hot Hand“ im Sinne, dass ein bestimmter Athlet gute und schlechte Tage hat, finden aber keinen Zusammenhang im Sinne von „die Wahrscheinlichkeit, einen Strike zu landen ist höher, wenn ich soeben x Strikes in Folge gelandet habe“.

Glaube stärker als Evidenz

Die Lehre aus dem Gesagten ist, dass es selbst bei relativ einfachen interaktiven Prozessen und viel Daten kaum möglich ist, wirklich zweifelsfrei festzustellen, ob es tatsächlich so etwas wie eine „Hot Hand“ gibt oder nicht. Der Glaube, dass Sportler „einen Lauf“ haben, ist aber weit verbreitet. Das spricht für die Existenz der Hot Hand fallacy im Sport; der Glaube (an die Existenz der „Hot Hand“) ist stärker als die Evidenz (für deren Existenz). Die Täuschung scheint auch auf Finanzmärkten intuitiv plausibel. Der zweifelsfreie Nachweis ist hier aber wegen der Interaktion besonders schwierig.

Übrigens: die Studie von Loh und Warachka, welche ich das letzte Mal besprochen habe, findet keinen Hinweis darauf, dass Investoren vermehrt auf Aktien setzten, die „einen Lauf“ haben, d.h. je länger die Reihe an überraschend hohen Erträgen wird.

Nächstes Mal erkläre ich, wie die beiden verbreiteten Täuschungen der Gambler’s fallacy und der Hot Hand fallacy zusammenhängen und was dies etwa für die Entstehung von „Stimmungen“ auf Finanzmärkten bedeuten kann.

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