Ist durch Ausnützen von Trugschlüssen auf Aktienmärkten Geld zu verdienen?

Menschen haben die Tendenz, in einer Reihe völlig zufälliger Ereignisse Muster zu sehen. Eine Studie behauptet, durch Ausnützen eines bestimmten Trugschlusses („Gambler’s Fallacy“) liesse sich Geld verdienen. Skepsis ist angebracht.

Ist durch Ausnützen von Trugschlüssen auf Aktienmärkten Geld zu verdienen?
Menschen haben die Tendenz, in einer Reihe völlig zufälliger Ereignisse Muster zu sehen. Eine Studie behauptet, durch Ausnützen eines bestimmten Trugschlusses („Gambler’s Fallacy“) liesse sich Geld verdienen. Skepsis ist angebracht.

Stellen Sie sich folgendes vor: Sie stehen im Casino am Roulettetisch und beobachten, dass die Kugel fünfmal hintereinander auf eine schwarze Zahl fällt. Sie sind versucht zu wetten, schliesslich muss jetzt einfach rot kommen! Wer so denkt, unterliegt einem Trugschluss, der „Gambler’s fallacy“ (GF) genannt wird.

Zu glauben, dass nun eine „rote Zahl“ wahrscheinlicher ist, ist deswegen ein Trugschluss, weil die Ergebnisse von einer Runde zur nächsten völlig unabhängig voneinander sind. Die Wahrscheinlichkeit, beim nächsten Versuch eine „rote Zahl“ zu erhalten, ist genau gleich gross, wie diejenige eine schwarze zu erhalten, und das ist unabhängig davon, welche Sequenz vorher erzielt wurde.

Die Gambler’s fallacy kann auf ein psychologisches Phänomen zurückgeführt werden, dass man auch das „Gesetz der kleinen Zahlen“ nennt (Tversky und Kahneman 1971). Die meisten Menschen glauben nämlich, dass die Proportionen der Ereignisse selbst in einer kurzen Serie von Beobachtungen so aussehen müssen, wie sie es bei einer sehr langen tun (z.B. 3 mal rot und 3 mal schwarz bei 6 Würfen).

Wenn die Proportion von der langfristig erwarteten abweicht (z.B. fünfmal nacheinander rot), erwarten viele Leute, dass der nächste Versuch die Proportion wieder „zurechtrücken“ muss. Bittet man z.B. Versuchspersonen, eine Serie von zufälligen Münzwürfen niederzuschreiben, wechseln sie zu häufig zwischen Kopf und Zahl und glauben, die Anzahl der Ereignisse „Kopf“ müsste selbst bei wenigen Würfen 50% sein.

Inwiefern ist das für Finanzmärkte relevant?

Eine kürzlich publizierte Studie von Loh und Warachka (2012) behauptet, dass man auf Aktienmärkten Geld verdienen kann, wenn man diese Regularität kennt und sie entsprechend ausnützt. Ihr Argument lautet etwa so: Bei der Entscheidung, eine Aktie zu kaufen oder zu verkaufen, schätzen Investoren ab, wie sich die Erträge der Firma entwickeln. Sie stützen sich dabei auf die Beobachtungen der jüngeren Vergangenheit. Dabei spielen überraschende Erträge („earnings surprises“) eine wichtige Rolle. Wenn eine Firma in mindestens zwei der vorangehenden Quartale besser als von den Analysten allgemein erwartet verdient hat, glauben sie fälschlicherweise (eben wegen GF), dass die Firma in der nächsten Periode schlechter als allgemein erwartet abschneiden wird und verkaufen die Aktie.

Umgekehrt liegt der Fall, wenn es eine Reihe von Erträgen gibt, die unter den Erwartungen der Analysten liegen. Dann erwarten die Investoren tendenziell in der nächsten Periode ein positives Resultat und kaufen die Aktie. Soweit die Vermutung der Autoren. Wenn dem so wäre, würden sich diese Investoren gewissermassen ins Knie schiessen und Geld verlieren.

Um diese Idee empirisch zu prüfen, fragen die Autoren, ob sich durch Ausnutzung der GF systematische Gewinne erzielen lassen. Sie konstruieren dazu hypothetische Portfolios, in denen sie systematisch Aktien mit einer Reihe überraschend guter Ergebnisse kaufen und sechs Monate lang halten, und solche mit Reihe überraschend schlechter Ergebnisse verkaufen.

Sie berechnen dann, wie gross der Gewinn bei Befolgung dieser einfachen Strategie wäre. Die Autoren finden, dass man durch Ausnutzung der GF um 0.6% pro Monat höhere (im Vergleich zu einem Referenzportfolio) Gewinne erzielen könnte. Die Gewinne wären sogar noch höher (etwa 0.9% pro Monat), wenn man das Ausmass der Überraschung in der Strategie mit berücksichtigt, d.h. man kauft z.B. Aktien mit besonders hohen unerwarteten Erträgen.

Die Ergebnisse sind durchaus beeindruckend und die Datenlage der Studie ist gut (die Autoren analysieren mehrere tausend Firmen über einen Zeitraum von ca. 25 Jahren). Würde ich mein letztes Hemd auf diese Strategie wetten? Eher nicht. Erstens berücksichtigen die errechneten „übernormalen“ Gewinne die Transaktionsaktionskosten nicht, die für mich erheblich wären. Zweitens ist nicht klar, welche Prozesse sich hier im Hintergrund tatsächlich abspielen (der „datengenerierende Prozess“ ist nicht bekannt). Unterliegen die Analysten eventuell auch systematischen Täuschungen? Wie passen sich deren Erwartungen an? Wie sehr sind die Erträge bzw. Fehler in den Ertragsprognosen über die Zeit tatsächlich korreliert?

If you are so smart, why aren´t you rich?

Die Autoren untersuchen diese Fragen zwar, aber Strukturbrüche und „Regimewechsel“ sind in solchen Daten nur schwer festzumachen und Schätzungen daher kaum in die Zukunft extrapolierbar. Und schliesslich, die berühmte Frage: “if you are so smart, why aren’t you rich?” Wenn man mit einer solchen Strategie tatsächlich hohe Gewinne erzielen könnte, sollten dann in einem funktionierenden Markt nicht bereits so viele clevere Arbitrageure diese Gelegenheit am Schopf gepackt haben, dass die Gewinnmöglichkeit dadurch verschwindet?

Die GF ist sicherlich eine starke psychologische Regularität. Dass sie auch in Finanzmärkten manifest werden soll und man damit viel Geld verdienen kann, ist bzw. wäre aber doch erstaunlich. Im nächsten Blog werde ich erklären, dass viele Menschen auch zur GF exakt gegenläufige Intuitionen über „Muster in zufälligen Ereignissen“  haben, die sogenannte „hot hand fallacy“. Danach berichte ich, wie die beiden Arten verzerrter Wahrnehmung von Wahrscheinlichkeiten zusammenhängen. 

  • Tversky, A. und Kahneman, D. (1971): Belief in the law of small numbers. Psychological Bulletin 76: 105-110.
  • Loh, R.K. and Warachka, M. (2012): Streaks in earnings surprises and the cross-section of stock returns. Management Science 58(7): 1305-1321.

Zur Website von Jean-Robert Tyran»