Sichtbare Verluste tun besonders weh – versteckte sind genau so teuer

Verlustaversion ist ein zentrales Verhaltensmuster von Anlegern. Die Verhaltensökonomie hat auch deren Effekte im Zusammenhang mit der Geldillusion erforscht.

Sichtbare Verluste tun besonders weh – versteckte sind genau so teuer
Verlustaversion ist ein zentrales Verhaltensmuster von Anlegern. Die Verhaltensökonomie hat auch deren Effekte im Zusammenhang mit der Geldillusion erforscht.

Dass die Verlustaversion manche Anleger um langfristige Gewinnchancen bringt, habe ich schon in meinem letzten Artikel beschrieben. Die verhaltensökonomische Forschung zeigt darüber hinaus aber auch, dass Anleger oft zu stark von der Angst vor gut sichtbaren bzw. merklichen Verlusten geleitet sind und dabei weniger merkliche Verluste ignorieren, wie sie zum Beispiel durch Inflation entstehen.

„Sichtbar“ sind Verlustarten, die der Investor leicht aus dem Gedächtnis abrufen kann, die gerade stark in den Medien besprochen werden oder die kognitiv leicht zu verstehen sind.

In Geldgrössen zu denken ist natürlich, kann aber leicht in die Irre (also zu „Geldillusion“) führen (siehe dazu etwa Shafir, Diamond und Tversky 1997 oder Tyran 2007). Eine Art von Verlusten, die stark „unmerklich“ ist, entsteht durch die schleichende Erosion des Vermögens durch Inflation. Diese Art von Verlusten wird von Investoren oftmals zu wenig beachtet.

Dazu ein Beispiel: Bei Investitionen in Staatsanleihen wird aktuell zu sehr auf das Risiko des Defaults (also der Staatspleite) aber zu wenig auf Risiken geachtet, die durch Änderungen von (Nominal-)zinsen und Inflation entstehen können. Das gilt sogar für Rating-Agenturen, die es eigentlich besser wissen müssten. Das blinde Vertrauen in die Ratings dieser Agenturen kann also dazu führen, dass Investoren eine wichtige Quelle von Verlusten bei Bonds zu wenig beachten.

Dispositionseffekt und „Inflation nudges“

Verlustaversen Investoren kann Geldillusion aber paradoxerweise auch helfen, weil mögliche reale Verluste von Investitionen in Aktien (die im langen Schnitt besser rentieren) „kaschiert“ werden. So kann (über längere Zeiträume betrachtet) Inflation dazu führen, dass trotz realem Verlust ein nominaler (also in laufenden Geldgrössen ausgedrückter) Gewinn entsteht.

Wird die Performance der Aktien im Vergleich zu ihrem nominalen Einkaufspreis bewertet, erscheinen reale Verluste so als nominale Gewinne. Der verlustaverse Investor, der sich nicht durch die „illusionären“ nominalen Gewinne blenden lässt, hätte die Aktien nicht gekauft. Der verlustaverse Investor mit Geldillusion kauft sie trotzdem, weil er den möglichen Verlust nicht wahrnimmt. Das kann im Schnitt aber zu höheren (realen) Gewinnen führen.

Gemeinsam mit meinem Mitarbeiter Thomas Stephens ist es mir gelungen, diesen Effekt im Experiment nachzuweisen. Wir finden, dass Investoren in einem inflationären Umfeld mehr in die langfristig profitablen Aktien investieren als in einem Umfeld mit stabiler Inflation.

Verlustaversion kann den sogenannten „Dispositionseffekt“ hervorrufen. Darunter versteht man die Tendenz, Verluste nicht realisieren zu wollen, sondern darauf zu hoffen, dass sich der Wert des Aktivums wieder erholt. Die neuere Forschung zeigt, dass nicht alle Leute an diesem Effekt leiden und dass Bildung und gute Kenntnisse von Finanzmärkten helfen, dieses kostspielige Fehlverhalten zu vermeiden (Dhar and Zhu 2006).

Inflationseffekte und Immobilien

Der Effekt von Inflation spielt bei der Bewertung von Immobilientransaktionen oft eine grosse Rolle, weil Immobilien (von durchschnittlichen Verbrauchern jedenfalls) oft viele Jahre gehalten werden und der „Erosionseffekt“ von Inflation sich über die Jahre (exponentiell) kumuliert. Wer zum Beispiel vor 30 Jahren ein Haus für 500.000 Franken gekauft hat und heute für 750.000 Franken verkauft, hat einen nominalen Gewinn von 50 Prozent erzielt, aber einen realen Verlust von rund 10 Prozent eingefahren: Der Landesindex der Konsumentenpreise in der Schweiz ist in diesem Zeitraum von 100 auf etwa 160 gestiegen.

Ob das nun eine gute Transaktion war oder nicht, ist im Einzelfall schwierig zu sagen, schliesslich hat die Person 30 Jahre im Haus gelebt und die Immobilie ist wegen der Abschreibung auch weniger wert. Der Punkt ist hier aber zu fragen, ob die gleiche Person eine Transaktion zu einem Verkaufspreis von 450.000 in einem Umfeld ohne Inflation anders bewertet hätte.

Mit meinem Mitarbeiter Thomas Stephens untersuche ich in einer gross angelegten (und bislang unpublizierten) Studie, ob die Einschätzungen der Vorteilhaftigkeit von Immobilientransaktionen mit gegebenem realen Verlust systematisch von der Höhe der aufgelaufenen Inflation abhängt. Wir finden, dass der „Kaschierungseffekt“ der Geldillusion tatsächlich stark ausgeprägt ist. Und es zeigt sich auch hier, dass sich Menschen mit besserer Bildung und solche, die länger über die Frage nachdenken, weniger stark durch Geldillusion blenden lassen.

Reduziert Geldillusion die Kosten der Verlustaversion?

Kommt die Kombination von Geldillusion und Verlustaversion, also die Aversion gegen nominale Verluste, die Investoren nun teuer zu stehen, oder ist es am Ende gar so, dass die Geldillusion die Kosten der Verlustaversion reduziert?

Empirische Studien (zum Beispiel von Genesove and Mayer 2001) zeigen, dass Hausbesitzer ihre Immobilie nicht mit Verlust verkaufen wollen, sondern lieber zuwarten, bis sich ein Käufer findet, der einen höheren Preis bietet. Wenn verlustaverse Hausbesitzer zuwarten, bis Sie einen Käufer finden, der so viel bietet, dass die realen Verluste vermieden werden, warten sie in einem inflationären Umfeld länger als jemand, der bereits mit einem Bieter zufrieden ist, dessen Gebot bloss die nominalen Verluste vermeidet.

Geldillusion kann also dazu führen, dass der Dispositionseffekt abgeschwächt wird und man mit dem Hausverkauf weniger lange zuwartet. Nicht so lange zu warten kann zwar zu einem tieferen (realen) Ertrag führen, bietet gleichzeitig aber andere Vorteile. Zum Beispiel kann es die berufliche Mobilität erhöhen und damit Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Und dies kann wiederum positive gesamtwirtschaftliche Wirkungen haben.

Allerdings kann Geldillusion den Dispositionseffekt in einem deflationären Umfeld auch verstärken. Wir beobachten das zum Beispiel in einem Laborexperiment (Noussair, Richter, Tyran, erscheint demnächst im Journal of Behavioral Finance). Leute, die Wertpapiere zu hohen nominalen Preisen gekauft haben, wollen sie im deflationären Umfeld nicht zu tiefen nominalen Preisen verkaufen, weil sie zu sehr auf die nominalen Verluste schielen und die realen Gewinne zu wenig beachten. Die Studie zeigt, dass solches Verhalten gesamtwirtschaftlich schädlich sein kann, weil es unter Umständen Blasen auf Finanzmärkten begünstigt und verstärkt.

Aus obigen Beispielen wird klar, dass die Verlustaversion als zentrales Verhaltensmuster von Anlegern auch im Zusammenhang mit der Geldillusion Effekte hat, die jeder kennen und bedenken sollte. So lassen sich negative Auswirkungen auf die persönlichen finanziellen Verhältnisse mindern.

Zur Website von Jean-Robert Tyran»