Behavioral Economics – Was ist das?

Artikel, der kurz Behavioral Economics beschreibt.

Behavioral Economics – Was ist das?
Artikel, der kurz Behavioral Economics beschreibt.

Viele unserer Kunden haben Betriebswirtschaft oder Volkswirtschaft studiert – wir auch. Was Sie und wir dort gelernt haben, sind Modelle wie zum Beispiel die Kapitalmarkttheorie, die Portfoliotheorie, das Entstehen von Marktgleichgewichten oder Nutzenkurven. Dabei handelt es sich um sehr hilfreiche Gedankenkonstrukte, die viele Phänomene in der Wirtschaft gut erklären und daher geholfen haben, dass die Weltwirtschaft heute dort ist, wo sie ist.

Diese Modelle haben allerdings einen Haken: Sie gehen davon aus, dass sich die Menschen jederzeit rational verhalten, d.h. sie kennen ihre Präferenzen, sind perfekt informiert, maximieren ihren persönlichen Nutzen und verfügen über eine uneingeschränkte Willenskraft. Der Homo Oeconomicus eben.

Vielleicht ist es Ihnen ja bereits aufgefallen: Hin und wieder weichen wir ein ganz klein wenig davon ab. Wir verlieben uns, lassen uns von unseren Gefühlen hinreißen, kaufen manchmal „Schnäppchen“, die wir gar nicht brauchen, lassen uns eine Praline schmecken, obwohl wir gerade „auf Diät“ sind oder spenden Geld für eine wohltätige Organisation. Das alles ist gar nicht so rational.

Sind wir irrational?

Keine Angst: Irrationalität ist keine Krankheit, sondern gehört zum Leben. Daher: Ja, wir verhalten uns manchmal irrational.

  • Wir kaufen ein Auto für 30.000 € und machen noch einmal 5.000 € für Sonderausstattungen locker, ohne mit der Wimper zu zucken.
  • Beim anschließenden Besuch in unserem Stammcafé müssen wir feststellen, dass der Cappuccino um 20 Cent teurer geworden ist (von 2,80 € auf 3,00 €). Wir beschließen, in Zukunft auf den täglichen Cappuccino zu verzichten.
  • Das Cappuccino-Sparprogramm halten wir zwei Tage durch.
  • Das Auto wollen wir mit dem Jahresbonus für das letzte Geschäftsjahr bezahlen, den wir immer bekommen haben und mit dem wir fest rechnen. In diesem Jahr bekommen wir ihn nicht und ärgern uns maßlos.
  • Wir müssen das Auto nun über einen Kredit mit 3 % finanzieren und verzichten darüber hinaus auf den Barzahlungsrabatt von 5 %.
  • Den „Notgroschen“ auf unserem Sparbuch, das derzeit mit 1 % verzinst wird, wollen wir lieber nicht anfassen – ist ja ein Notgroschen.

Möglicherweise sind diese Beispiele etwas übertrieben. Jedenfalls haben wir ein paar klassische Entscheidungsfehler (sogenannte Biases) hineingepackt, denen viele Menschen immer wieder aufsitzen:

  • Ein Autokauf ist eine emotionale Sache (zumindest für Männer). In stark emotionalisierten Zuständen treffen wir systematisch andere Entscheidungen als in kühlen Zuständen.
  • Im Zustand freudiger Erregung (wie beim Autokauf) sind wir bereit, höhere Risiken einzugehen als sonst.
  • Wir haben häufig ein Problem mit Relationen. Während wir für Extras beim Auto 5.000 € hinblättern, sind wir nicht bereit 20 Cent beim Cappuccino mehr zu bezahlen (das müssen wir ja dann auch täglich machen).
  • Unser Wille ist eingeschränkt (besonders, wenn wir auf eine lieb gewordene Gewohnheit verzichten müssen wie den täglichen Cappuccino).
  • Wir hängen am Status Quo: Unseren Jahresbonus haben wir fest eingeplant. Ihn nicht zu bekommen, ist ein schmerzlicher Verlust, der sich wie eine Gehaltskürzung anfühlt.
  • Mit komplexen Finanzierungsentscheidungen beschäftigen wir uns sehr ungern und sammeln häufig nicht alle Informationen, die für eine optimale Entscheidung nötig sind.
  • Wir führen „mentale Konten“ in unserem Kopf und weisen Beträge bestimmten Verwendungszwecken zu, ohne Verschiebungen zuzulassen. Dafür nehmen wir selbst ungünstige Finanzierungskosten in Kauf.

Diese Beispiele zeigen einen kleinen Ausschnitt aus der Welt der Biases. Diese Entscheidungsfehler entstehen unter anderem dadurch, dass wir in unserem täglichen Leben häufig gedankliche Abkürzungen nehmen und auf Daumenregeln setzen. Um das an dieser Stelle klarzustellen: Diese Daumenregeln sind in vielen Fällen überaus nützlich. Wir könnten gar nicht überleben, wenn wir nicht bei der Vielzahl an täglichen Entscheidungen auf unsere Erfahrung und Intuition vertrauen würden. Manchmal allerdings führt uns dies in die Irre – und das systematisch, d.h. immer wieder und viele Menschen auf die gleiche Art und Weise.

Und was ist jetzt Behavioral Economics?

Entschuldigung, wir sind etwas vom Thema abgekommen (auch wir sind einem Bias aufgesessen). Behavioral Economics schaut sich genau diese systematischen Entscheidungsfehler an. Am besten lässt sich dies anhand der von den Wissenschaftlern verwendeten Methode erklären. Während klassische Ökonomen sich hauptsächlich im Kopf Gedanken darüber machen, wie die ökonomische Welt so funktioniert, machen „Behavioral Economists“ Experimente.

Sie laden Menschen ein, sich in einer konkreten und klar definierten wirtschaftlichen Situation zu entscheiden und beobachten das Entscheidungsverhalten. Dabei haben sie festgestellt, dass wir Entscheidungsfehler begehen. Mehr noch: Sie haben festgestellt, dass wir Menschen in vergleichbaren Situationen mehr oder weniger die gleichen Entscheidungsfehler begehen.

Einige Beispiele haben wir ja bereits oben als Biases beschrieben. Weitere Beispiele sind, dass wir unsere Entscheidungen stärker auf Basis von Ereignissen treffen, die erst kürzlich passiert sind als auf länger zurück liegenden Ereignissen („Availability Bias“). So wird eine Rechtsschutzversicherung häufig nach einer juristischen Auseinandersetzung abgeschlossen, auch wenn die statistische Wahrscheinlichkeit dafür, dass man sie braucht, unverändert geblieben ist. Und dann sagt auch noch der Ehepartner: „Hab ich doch schon immer gesagt, dass wir eine Rechtsschutzversicherung brauchen. Jetzt hast Du die Bescherung.“ Hier sind wir beim „Hindsight Bias“ (Rückschau-Fehler): Nachdem wir vom Ausgang eines Ereignisses erfahren (in diesem Fall der Eintritt einer juristischen Auseinandersetzung), erinnern wir uns systematisch falsch an unsere früheren Aussagen. Systematisch bedeutet in diesem Fall, dass wir unsere ursprünglichen Einschätzungen, die zu einer Entscheidung geführt haben, in Richtung des tatsächlichen Ausgangs verzerren (früher haben wir uns gegen die Rechtsschutzversicherung entschieden, jetzt glauben wir, immer schon dafür gewesen zu sein).

Was hat das mit Wirtschaftsberatung zu tun?

Eine ganze Menge. Es ist nicht die Erkenntnis, dass wir Menschen hin und wieder irrational handeln, die so wertvoll ist. Ganz ehrlich, das haben wir ja vorher schon gewusst. Das Wertvolle an Behavioral Economics ist, dass wir nun wissen, wie sie sich mit all ihren Irrationalitäten aller Wahrscheinlichkeit nach entscheiden und verhalten werden. Dies ermöglicht uns, das antizipierte Entscheidungsverhalten in unsere Entscheidungen einfließen zu lassen. Damit schaffen wir wesentlich zuverlässigere Lösungen, die das tatsächliche Verhalten der Menschen einbeziehen. Das ist insbesondere bei Risikoentscheidungen, Kaufentscheidungen, Projektentscheidungen oder auch Entscheidungen über die Leistungsbereitschaft im Unternehmen von zentraler Bedeutung.

Ein weiterer Aspekt ist für uns wichtig: Behavioral Economics verfügt über ein ausgesprochen fundiertes Methodenwissen bei Experimenten, Befragungen und weiteren empirischen Untersuchungsmethoden. Dieses Know How haben wir uns bei FehrAdvice & Partners zu eigen gemacht und damit die Möglichkeit geschaffen, unsere Beratungsleistungen auf eine außerordentlich valide Basis zu stellen.

Und Fairness?

Als Säuglinge haben wir nur eines im Sinn: die volle Aufmerksamkeit der Eltern – immer dann, wann es uns passt. Dabei ist uns ziemlich egal, wie es den Eltern gerade geht. Egoismus pur.

Mit der Zeit lernen wir, nicht nur auf uns zu schauen, sondern auch auf unser soziales Umfeld, und wir entwickeln einen Sinn für Gemeinschaft und für Fairness. In dieser Gemeinschaft bestehen soziale Normen, die das Leben regeln, und wir entwickeln unsere Identität in Bezug auf unser Umfeld.

Diese Aspekte menschlichen Handelns – Fairness, soziale Normen und Identität – sind auch im Wirtschaftsleben aktiv. Wir arbeiten lieber in einem Unternehmen, von dem wir uns fair behandelt fühlen, wir kaufen Produkte, die von unserem sozialen Umfeld geschätzt werden, wir entwickeln einen Kleidungsstil, der zu uns passt. Das prägt unser Entscheidungsverhalten, bei der Jobauswahl, beim Einkauf und natürlich auch bei allen Entscheidungssituationen im Unternehmen. Wir sind der Meinung, es ist höchste Zeit, diese Aspekte auch in der Wirtschaftsberatung in den Fokus zu rücken.